Singen als Kommunikation

Medien laden zum Staunen ein

In den frühen 80er-Jahren, Postamt Ostermundigen 1, Samstagmorgen, eine Stimme halt durch die Schalterhallen. «Ädu, ein Fax für deine Familie!». Aufgeregt springe ich zum Faxgerät, das noch gar nicht so lange auf dem Postamt steht – vor kurzem wurde ich noch auf den Telegrafen ausgebildet. Wie angewurzelt bleibe ich vor dem neuen Faxgerät stehen. Da kommt erkennbar die Handschrift einer meiner Schwestern aus dem Faxgerät heraus – und ich weiss, meine Schwestern sind in Norwegen in den Ferien.

Wie kommt denn diese Handschrift in das Gerät hinein? Ich staune und verstehe die Welt nicht. Ja. In den 80er Jahren war mein Hirn noch nicht für solche Medien-Erfahrungen ausgebildet. Damals stand ich verdattert vor dem neuen Faxgerät. Das ist doch nicht möglich!

Später im Medienstudium lernte ich die Geschichte des Telefaxens kennen. Das Faxgerät war in den frühen 60er Jahren technisch und wirtschaftlich marktfähig. Und trotzdem schlief die neue Medien-Erfindung zuerst noch zwanzig Jahre einen Dornröschenschlaf. Die Menschen waren geistig nicht reif für diese Erfindung. Unverständnis und Ablehnung, vielleicht auch einfach Überforderung prägten unsere Hirnstrukturen. In den 80er Jahren wurden wir, unsere Gesellschaften, so langsam Fax-tauglich. Ironie der Geschichte, wer braucht denn heute noch ein Fax? Ganz ist der Fax allerdings nicht aus der Welt verschwunden. Ärzte und Apotheken verwenden ihn noch heute für die Übermittlung von Arztzeugnissen und die Bestellung von Medikamenten.

 

Eine neue Ortlosigkeit

Medien haben nicht nur mit technischer Entwicklung zu tun, sondern auch mit geografischen Vorstellungen. 1993 studierte ich ein Jahr Theologie in Rom, im Internationalen Kolleg der Kapuziner. Ein Brief brauchte mit der Vatikanpost eine Woche, bis er in der Schweiz zugestellt wurde. Dann drei Wochen von der Schweiz nach Rom – italienische Post. Wenn alle schnell reagierten und schrieben, dann konnte man in einem Monat eine Antwort erwarten. Das waren dann oft «gefühlte Jahre».

1998 begann ich meine Medienstudien in Rom. Ausgerüstet mit einem wunderbaren Computer traf ich in Rom ein. Gut, im Nachtzug schlief ich nicht mehr so ruhig wie früher. Wehe der Computer wird mir geklaut! Neu gab es auch Internet. Am Morgen eine E-Mail schreiben bedeutete oft, am Abend eine Antwort zu erhalten. Manchmal waren die E-Mails auch schneller weg als geplant.

In der Generalkurie lebten damals meine Schweizer Mitbrüder Paul Hinder, jetzt Bischof von Arabien, und Gandolf Wild, damals Sekretär des Gesamtordens der Kapuziner. Manchmal ging ich sie nach den Vorlesungen besuchen. Eine E-Mail war praktisch zum Kommunizieren. Denn vor allem bei Paul war es manchmal schwierig zu wissen, in welchem Land er gerade unterwegs war.

In einer Kapuzinerzeitschrift fand ich die E-Mail-Adresse von Gandolf – damals noch eine Adresse aus lauter Zahlen und nicht mit Buchstaben, wie heute. Ich schrieb ihm und meldete mich in einer Woche zum Mittagessen an; gab meiner Freude des baldigen Wiedersehens Ausdruck. Paul sollte kurz vorher von Pakistan her nach Hause kommen. Kaum eine Stunde später bekam ich Antwort. Doch erst beim dritten Lesen schwante mir der Ärger. Unterschrieben hatte eine Frau. Sie war völlig verzweifelt und wütend. Schnell griff ich zum bewährten, älteren Medium Telefon und rief Gandolf an. Nein. Diese E-Mail stamme gewiss nicht von ihm. Langsam kamen wir der Geschichte auf der Spur. Die internationale Kapuzinerzeitschrift hatte eine falsche E-Mail-Zahlen-Adresse publiziert.

Dieselbe Geschichte anders erzählt. Da lebt eine arbeitssuchende Frau in Berlin. Sie schreibt Bewerbungen und hofft auf eine gute Arbeitsstelle. Plötzlich kommen da viele vermeintliche Antworten für die Arbeitssuchende. Doch diese E-Mails sind in Spanisch, Englisch, Italienisch und ab und zu Französisch geschrieben. Doch keine dieser Sprachen versteht sie – und in Berlin sollte man doch in Deutsch kommunizieren können? Oder etwa nicht?! Eines Tages die grosse Überraschung. Die Frau traut ihren Augen kaum.

Da kommt eine kurzgehaltene E-Mail in Deutsch geschrieben: «Hallo Gandolf, am Donnerstagmittag komme ich zum Apéro. Ich freue mich auf bald. Pace e bene Ädu». Freude! Enttäuschung! Empörung! Hier schrieb mal jemand in Deutsch und sie konnte ihren Ärger loswerden. Anschliessend waren die Kapuziner am Springen. Da wurde teilweise heikler Inhalt ans falsche Ziel gesandt. Eine falsche Ziffer und lateinamerikanische Post landete beispielsweise in Berlin statt in Rom, bei einer Arbeitssuchenden statt beim Generalsekretär der Kapuziner.

 

Das Medium prägt den Inhalt

Hirnstrukturen haben sich in meinem Leben mehrmals verändert. Ich weiss heute über die Ortlosigkeit von Mitteilungen und Dienstleistungen. Wer weiss, ob da mein Reiseberater in Indien oder in Las Palmas an der Sonne liegt. Oder aus welcher Weltgegend ruft die Dame an, die mir da feinen australischen Wein verkaufen will? Doch auch die Kommunikation von Inhalten und Glauben verändern sich stetig.

Es gibt Filme, die haben mein Denken und meinen Glauben geprägt, wenn nicht sogar verändert. Manchmal waren das sogar Filme, die ich erst beim dritten Anschauen zu Ende schauen konnte, weil ich zuerst innere Widerstände entwickelte, bevor ich auf den Geschmack kam. Ich musste mir eine neue Filmsprache aneignen und manchmal auch meine Hirnstrukturen mit neuen Vorstellungen vertraut machen, bevor ich den Wert eines Filmes begreifen und geniessen konnte. Ich weiss, das ist anstrengend und herausfordernd.

Science-Fiction und Mystery Filme haben für mich am meisten religiöses Potential. Doch ist es oft schwierig, die Begeisterung mit anderen zu teilen. Menschen, die die nötigen filmischen Lesekompetenzen nicht entwickelt haben, werden in Ärger und Empörung verharren. Da ist es einfacher, in der Erwachsenenarbeit mit Dokumentarfilmen zu arbeiten, auch wenn diese das Geheimnis Gottes, sein Anderssein, literarisch nicht formulieren können. Dokumentarfilme bleiben im Diesseitigen, Materiellen hängen. Aber eben, mit der zunehmenden Wissenschaftskritik in unserer Gesellschaft wird auch das «Heilige» wieder wichtiger und es wird danach gesucht. Wichtiger wird damit auch das Ringen um eine Sprache, die dem Gesagten Bedeutung geben, die das Heilige kommunizieren kann.

Es geht weiter!

Vor gut zehn Jahren hat das Smartphone begonnen, unsere Welt zu verändern. Vor allem die Jugend ist auf den Trend aufgesprungen und anders geworden. Und was wird in weiteren zehn Jahren sein? Nein, das Smartphone wird 2030 überholt sein. Das ist die sicherste Aussage, die man heute machen kann.

Ist es eine Art Uhr, ein im Hirn eingebauter Chip – schon um 2000 haben wir psychologische Konzepte zum Hirn-Chip studiert – oder die im Moment boomende Brille? Ich habe eben Hörstöpsel mit drei Funktionen gekauft:

  1. Umgebungslärm ganz auszuschalten.
  2. Umgebungslärm auch ins Ohr weiterleiten.
  3. Nur extremen oder speziell definierten Umgebungslärm ins Ohr zu bringen.

Vielleicht gibt es ja bald Brillen mit diesen drei Funktionen, vielleicht kombiniert mit Hörstöpseln? Ob das funktioniert? Ich könnte es mir vorstellen.

Noch eine Erfahrung, die den Wandel dem Gebiet der Kommunikation illustriert: Vor fünf Jahren hatte ich ein Radio-App auf meinem Smartphone, das meinen Musikgeschmack lernte. Mit Bewertungen konnte ich es steuern. Ich entschied mich, das App auf rockige Mundart zu prägen. Relativ schnell lernte es meinen «Geschmack» und versorgte mich mit wunderbarer Musik. Ich genoss es oft – für Kirchenmusik oder klassische Musik hatte ich ja andere Zugänge. Doch dann wurde der Betrieb dieses persönlichen online Radios eingestellt. Dürfen die das? Bis heute vermisse ich diese wunderbare Zeit, die mich mit meinem Geschmack entsprechender Mundart-Musik versorgte.

Wohin geht der Weg?

Was uns die Zukunft bringen wird, ist schwer abzuschätzen. Aber sie wird gewiss nicht mehr so sein, wie die Vergangenheit war oder die Gegenwart ist. Die Mediengeschichte zeigt, dass alte Medien meistens nicht verschwinden, sich aber spezialisieren und neu in den Medien-Alltag einordnen müssen.

Und neue Entwicklungen sind schwer erahnbar. Selbst die alten Kisten, die in Star Wars den Weltraum erobern, sind eher Taxis aus den 70er- Jahren, denn Fahrzeuge, wie sie die Zukunft kennen wird. Und trotzdem lasse ich mir keinen Star Wars Film entgehen!

Artikel aus Franziskuskalender 2019, S. 8-11

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