Abschied von Rapperswil

Linth-Zeitung, von Jérôme Stern, 14. Oktober 2021:
Bruder Adrian Müller war viele Jahre Vorsteher des Kapuzinerklosters Rapperswil, nun zieht es ihn weiter nach Schwyz. Dort wird er sich auf der Sterbestation um Mitbrüder kümmern – und wieder mehr als Journalist unterwegs sein.

Es war am Tag des offenen Klostergartens im Kapuzinerkloster
Rapperswil. Immer mehr Besucherinnen und Besucher fanden sich auf der Terrasse des Kloster-Cafés ein. Inmitten des Trubels sass Bruder Adrian in der einfachen Kapuzinerkluft an einem Tisch und wirkte nachdenklich. Seine Augen blickten in unbekannte Ferne – wenige Tage danach wird der 56-Jährige das Kloster Rapperswil verlassen, nach 18 Jahren, um im Kapuzinerkloster Schwyz seine neue Aufgabe aufzunehmen. Er freue sich sehr auf diese Veränderung, sagte er am Tag des offenen Klostergartens mit ruhiger Stimme. «Nach kapuzinischen Regeln zieht ein Bruder nach sechs oder neun Jahren weiter. Ich habe jetzt neun Jahre in den Gästebetrieb im Kloster investiert, das war schön.» Die folgenden neun Jahre würden ihm wieder mehr Zeit für den Journalismus und fürs Schreiben bieten, das komme ihm entgegen. Statt um Gäste würde er sich in Zukunft im Pflegeheim und auf der Sterbestation des Schwyzer Klosters um Mitbrüder kümmern.

Der Journalist
Tatsächlich ist Bruder Adrian selber seit vielen Jahre im Journalismus tätig. So schreibt er beispielsweise Beiträge für die Zeitschrift «ITE» (lateinisch für «gehe»), eine Publikation der Kapuziner, wie auch für den «Franziskuskalender ». Zudem beschäftigt er sich in seinem eigenen Blog mit zeitlosen Themen. So wurde das Gespräch mit dem Ordensbruder schnell zur Plauderei unter Branchenkollegen. Wobei er einräumte, dass er gerne mehr Beiträge schreiben würde, ihm dafür aber wenig Zeit bleibe. «Aus diesem Grund muss ich Anfragen von Pfarrblättern zurzeit ablehnen.» Seiner Begeisterung fürs Schreiben folgte er schon in seiner Jugend, als er nach seinem Studium der Theologie Erziehungs- und Medienwissenschaften studierte. Sein Doktorat legte er im Bereich Film- und Religionsdidaktik ab. «Für diese Arbeit führte ich Interviews mit verschiedenen Personen. Dabei interessierte mich, wie jemand einen Film versteht und aufnimmt.» Ursprünglich hatte er geplant, sich nach dem Studium mit Religionspädagogik zu beschäftigen, doch hatte sein Orden andere Pläne mit ihm. «Es zeigte sich, dass die Kapuziner mehr Bedürfnis nach einem Medienschaffenden als nach einem Religionslehrer hatten.» Er schmunzelte und fügte hinzu, das sei ihm sehr entgegengekommen. Tatsächlich betätigte sich Bruder Adrian auch ganz profan als freischaffender Journalist und schrieb Beiträge für die «Zürichsee-Zeitung» und die damalige «Linth-Zeitung». Die journalistische Arbeit fasziniere ihn, weil es dabei um die klare Aufgabe gehe, Informationen spannend zu vermitteln. «Im Journalismus geht es um vier Grundpfeiler: «Da ist erstens der Titel, der die Richtung vorgibt und süffig sein darf. Zweitens der Lead, der knallhart sagt, worum es geht. Drittens die Bilder, die den Beitrag illustrieren, und viertens natürlich der gut geschriebene Text.» Die journalistische Sprache gefalle ihm und reize ihn nach wie vor.

Der Wanderer
Nicht selten konnte man Bruder Adrian in der Stadt mit Rucksack sehen, wenn er von einer seiner Wanderungen zurückkam. Wandern habe für ihn sehr viel Meditatives. «Es bedeutet, ich bin hellwach. Es ist ein Wechselspiel zwischen meinem Körper, der sich bewegt, und meinen Gedanken, die vorwärts gehen.» Dabei schlug er eine Brücke zu seiner Ordensgemeinschaft: Wandern gehöre zur franziskanischen Lebenskunst, schon der heilige Franziskus von Assisi sei immer unterwegs gewesen. Das lateinische Wort «Itineranz » bedeute Umherziehen und sei einer der Grundpfeiler seines Ordens. In der franziskanischen Gemeinschaft ziehen Ordensbrüder regelmässig von einem Kloster ins nächste. «Für mich hat Wandern sehr viel mit Spiritualität zu tun.» Bei diesem Thema geriet Bruder Adrian immer mehr ins Philosophieren: «Wenn ich wandere, bin ich in der Schöpfung Gottes – egal, ob ich schöne Blumen oder das Leiden eines Tieres sehe, das hat alles mit der Schöpfung zu tun.» Am liebsten wandere er übrigens im Wald, sagt er. Wohin er genau gehe, komme darauf an, wie viel Zeit er habe. «Wenn ich nur wenig Zeit habe, gehe ich häufig in den Joner Wald, mache eine Runde beim Vita-Parcours oder beim Pfadihaus.» Bei längeren Touren laufe er beispielsweise gerne nach Goldingen.

Der charismatische Ordensbruder
Die Rapperswiler Kapuzinergemeinschaft hatte 1992 einen wesentlichen Wandel initiiert: Damals öffnete man das Kloster und lud Freiwillige jeglicher Konfession ein, hier für eine kurze Zeit zu leben, am Klosteralltag teilzunehmen und mitzuhelfen. Er habe diese Öffnung zwar nicht selber angestossen, aber bei deren Umsetzung mitgeholfen, sagte Bruder Adrian. Vor einem Jahr übergab er das Amt des Klostervorstehers, des Guardians, an Bruder Norbert Zelinka. Doch für diejenigen, die ihn kennengelernt hatten, bleibt er der charismatische Ordensbruder, der seine innere Ruhe aus der Kraft seines Glaubens schöpft. Wie sehr er den Menschen in Rapperswil-Jona verbunden war, zeigte sich, als ein behinderter Mensch ihm beim Abschied ein liebevoll eingepacktes Geschenkpäckli überreichte, er sich gerührt bedankte und sogleich in ein längeres Gespräch verwickelt wurde.

Erst Pöstler, dann Kapuziner

(Kath.ch) «Von meiner Mutter habe ich die Bereitschaft geerbt, Leitungsfunktionen zu übernehmen. Mein Vater war ein stiller Arbeiter. Ich habe von beiden etwas», sagt Adrian Müller von sich. Er ist Kapuziner, Provinzrat des Ordens, Chefredaktor ITE und neuerdings Präsident des Vereins Katholisches Medienzentrum.

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Katholisches Medienzentrum

(kath.ch) Die Mitglieder des Vereins Katholisches Medienzentrum haben einen neuen Vorstand gewählt. Neuer Präsident ist Adrian Müller, der Odilo Noti nachfolgt. Mit Esther Kuster und Sarah Paciarelli sind künftig zwei Frauen im Vorstand. Eine Mitteilung in eigener Sache.

Die strategische Führung des Vereins Katholisches Medienzentrum geht über in die Hände von Adrian Müller. Er wurde an der Generalversammlung vom 23.9.2021 in Zürich zum neuen Präsidenten gewählt. Er löst damit Odilo Noti ab, der sich seit 2014 als Präsident für die Neuausrichtung der katholischen Medienarbeit eingesetzt hat. Zudem verlässt Urban Fink-Wagner den Vorstand. Neu treten Esther Kuster und Sarah Paciarelli in den Vorstand ein.

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Eine befreiende und eine lebensbejahende Theologie

Obersee Nachrichten, 17. Juni 2021, Michel Wassner, Frontseite:
Insgesamt knapp zwei Jahrzehnte lebte Bruder Adrian im Kapuzinerkloster Rapperswil. Nun zieht er weiter – nach Schwyz. Es gefällt ihm am Zürichsee, ganz klar. Er wird die Region vermissen, bestimmt. Aber für einen Kapuziner-Bruder gehören Ortswechsel einfach dazu. Die Jahre am Obersee waren- für ihn eine Zeit der Erfahrungenund Begegnungen. Immerhin handelt es sich in der Rosenstadt um ein offenes Kloster. Man lebt mit Freiwilligen zusammen. Jetzt jedenfalls blickt er nach vorne und freut sich darauf, wieder mehr Zeit zu habenfür seine Leidenschaft – das Schreiben. Seite7

«Ich bin ein fröhlicher Mensch»

Mit Bruder Adrian verlässt ein «Urgestein» des Kapuziner-Klosters Rapperswil den Obersee in Richtung Schwyz. In seinen knapp zwei Jahrzehnten hat sich viel getan. Von einem, der die Region auch ein wenig vermissen wird.

Insgesamt 18 Jahre verbrachte Bruder Adrian im Kapuziner-Kloster Rapperswil. Nun zieht er weiter. Bei seinem Orden ist das so üblich. Gefallen hat es ihm sehr gut am Obersee. Innerhalb der Klostermauern und ausserhalb. «Ich liebe das Wandern, die Wälder, kenne fast jeden Weg in der Region.» Dass er sehr naturverbunden ist, erzählt der 56-Jährige beim Gespräch vor traumhafter Zürichsee-Kulisse im Klostergarten, rundherum allerlei selbst gezüchtetes Gemüse vom Klostergärtner. Die Wirkungsstätte der Kapuziner in der Rosenstadt ist speziell. Sie führen seit 1992 ein offenes Kloster, leben mit Freiwilligen zusammen, mit Menschen unterschiedlicher Konfessionen und Religionen, die sich einfach ein wenig zurückziehen, am Klosterleben teilhaben und mithelfen möchten. Ein Konzept, das Bruder Adrian zwar nicht initiiert, aber lange Zeit begleitet und mit weiterentwickelt hat. Innerhalb des Ordens, erklärt er, werde alles in Gemeinschaft umgesetzt, Entscheide fallen nach Mehrheiten. «Die Orden sind, wenn man so will, die demokratischen Inseln innerhalb der katholischen Kirche.»

Unter Brüdern

Offenes Kloster, wechselnde Gäste, viel Arbeit. «In Rapperswil müssen wir uns um die Besucher kümmern. Das ist eine schöne Tätigkeit, aber ich möchte jetzt wieder weniger betreuen und mehr schreiben.» Denn, das muss man wissen, sein Herz schlägt auch für den Journalismus. Anfangs sind die Gäste jeweils noch länger geblieben, ab 2001 wurden es mehr Wochengäste. Seit 2008 gibt es ausserdem das Kloster-Cafe. Alles Dinge, die Bruder Adrian mitgetragen hat. Natürlich sei so ein Gästebetrieb anspruchsvoll. «Immerhin kommen jede Woche bis zu acht neue Leute zu uns. Aber insgesamt eine positive Erfahrung.» A propos Erfahrung: Bruder Adrian, sind Sie eigentlich ein glücklicher Mensch? «Ja, das bin ich. Ich geniesse mein Leben und bin ein fröhlicher Mensch.» Das merkt man auch im Gespräch. Soll er sich selbst beschreiben, wählt er die Adjektive neugierig, überlegt, organisiert. Nicht die schlechtesten Eigenschaften für einen Mönch. Wobei Adrian das Wort Bruder bevorzugt. Er sagt: «Genau genommen sind wir kein Mönchs- sondern ein Brüder-Orden.»

Menschen begleiten

Der Begriff deutet es bereits an: Entscheidet man sich, Kapuziner zu werden, fällt die Wahl auf ein Leben in Gemeinschaft. Genau das richtige für Bruder Adrian. Zweifel hatte er keine. Wobei er betont: «Man darf nicht vergessen: Die Eintrittsphase in den Kapuziner-Orden dauert neun Jahre. Da hat man genug Zeit, sich das gut zu überlegen.» Er war damals 26 und hatte bereits einige Schicksalsschläge hinter sich, den Verlust geliebter Menschen erlebt. Sein Glaube aber ging ihm nicht verloren. Es gebe Positives und Negatives im Umgang mit dem Tod, sagt er. «Vor 30 Jahren habe ich im Kloster Schwyz auf einer Pflegestation gearbeitet für alte Brüder. Einen von ihnen pflegte ich bis zuletzt. Es war eine bereichernde Zeit.» Er spricht von Erfahrungen, die dem eigenen Leben mehr Tiefe geben und das Gott-Ver-trauen stärken. Auch an seinem zukünftigen Wirkungsort Schwyz wird er deshalb wieder Menschen auf den letzten Metern begleiten.

Ein kritischer Geist

Was Bruder Adrian selbst auch weiterhin begleiten wird, sind Nussstängeli. Die liebt er. «Das Wichtigste ist, dass sie knackig sind», sagt er mit einem Lachen. Ebenso angetan haben es ihm das Fotografieren und das Schreiben. Gute Voraussetzungen für einen Redaktor, der unter anderem für die Kapuziner-Zeitschrift «ITE» Texte verfasst und für seinen eigenen Blog. Ebenso von Vorteil: ein offener Geist. Ja, er würde sich schon auf der Reform-orientierten Seite innerhalb der Katholischen Kirche sehen. «Ich bin für Demokratie, vertrete eine offene Theologie. Das passt auch zum Orden. Die Schweizer Kapuziner gelten als vergleichsweise progressiv.» Daher gibt es Dinge, die er durchaus kritisch sieht und auch benennt. «Klar ist, dass wir einen Entscheidungsstau in der Katholischen Kirche erleben. Andererseits muss man auch anerkennen, dass sich innerhalb der letzten 30 Jahre einiges getan hat.» Doch grosse Herausforderungen, die gebe es nach wie vor. Bruder Adrian spricht ruhig, überlegt, positiv. Vor allem wenn es um seine Theologie geht. Es sei dies eine befreiende, eine lebensbejahende, getragen von Liebe und Barmherzigkeit. Zu Heilsversprechen im Jenseits sagt er – und das nicht ohne Schmunzeln: «Ich verwende gerne das Bild eines Schmetterlings. Wir sind wie die Raupen. Über dieses Stadium kann ich dementsprechend viel erzählen.» Und danach? «Das weiss ich natürlich auch nicht. Ich kenne nur den Beginn der Verpuppungsphase. Auf unser Schmetterlingsdasein bin ich ja gespannt!» Überraschend offen, erfri-schend.

Als Kapuziner zieht man weiter

Erfrischend und einfach ist auch das Bild, das er verwendet, um die Wahl seines Ordens zu erklären. «Ich wurde Kapuziner, weil ich da hin-gehöre. Wie ein Fisch ins Wasser.» Sagt’s und deutet auf den Zürichsee. Doch die Kapuziner sind eben ein Weltorden. Deshalb gehören Ortswechsel für die Brüder einfach dazu. «Und auch ich wollte diese Veränderung.» Nächster Halt: das Kloster Schwyz. Ein Unbekannter ist Bruder Adrian dort nicht. «Ich bin vielen Brüdern bereits begegnet. Ich freue mich sehr darauf, sie wiederzusehen.» Im Kantons-Hauptort erwarten den 56-Jährigen auch neue Aufgaben. Und besonders wichtig: «Ich werde wieder mehr Zeit für meine Tätigkeit als Redaktor haben.» Natürlich freut er sich zudem auf die zahlreichen Wanderwege im Inneren der Schweiz. Aber Hand aufs Herz: Werden Sie Rapperswil dennoch vermissen? Der Bruder wählt die Worte sorgfältig. «Ich kann mir durchaus vorstellen, dass ein wenig Wehmut aufkommen wird, wenn ich die Region verlasse. Aber die Zeit ist einfach reif.» Mit Blick auf den strahlenden Zürichsee merkt man es schon: Bruder Adrian weiss, was er zurücklässt. Doch er freut sich auf Neues.

Michel Wassner

Ps: Ab dem 9. September gilt:

Br. Adrian Müller
Kapuzinerkloster
Herrengasse 33
Postfach 353
6431 Schwyz

Geld oder Leben?

Aus Schweizer Familie, Nr. 19, 10. Mai 2018. Menschen, die ihrem Herzen folgen. Sie verzichten auf gut bezahlte Jobs und Karriere, um das zu tun, was sie wirklich bereichert. Fünf Menschen erzählen, wie sie den Mut aufbrachten, neue Wege zu gehen, und wie sie dabei ihr Glück fanden.

Den Text schrieb Erwin Koch; das Foto gestaltete Christian Hartmann.

Bruder Adrian, 53, Rapperswil SG

Ganzes Kapitel: Dem Herzen folgen

Der Kapuziner vom Zürisee

Sulamith Ehrensperger, 3sat.de

Als Klostervorsteher gibt Adrian Müller dem Kapuzinerkloster Rapperswil gegen Aussen ein Gesicht. Sein Herz gehört diesem Ort direkt am Zürichsee. In den Tiefen des Sees hat der Kapuziner sein persönliches religiöses Symbol gefunden: einen Pfluganker, den er beim Schnorcheln vor dem Kloster aus dem Wasser gezogen hat.

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