…, das einem Menschen entspricht

Predigt vom 24.04.2022 zum 40jährigen Priesterjubiläum von Hans Portmann, Evangelium: Johannes 20,13-31

Lieber Festtagsjubilar Hans
Liebe Schwestern und Brüder
In der Osterzeit werden uns aus den Evangelien einige Begegnungen des Auferstandenen mit Menschen erzählt. Frauen und Männer machen die Erfahrung, dass Jesus lebt, freuen sich darüber, finden Trost und Heilung.

Menschen, vielleicht vor allem Theologen und Theologinnen versuchen das zu verstehen und eine Vorstellung von den Auferstehungs-Erfahrungen zu finden. Lange habe ich das versucht und ich bin auf keinen grünen Zweig gekommen. Die einen – wie das heutige Tagesevangelium erzählt – erkennen den Auferstandenen an seinen Wunden, andere am Brotbrechen, andere am Wort und so fort. Manchmal erscheint der Auferstandene leiblich, manchmal nicht, manchmal kann man ihn berühren, manchmal läuft er durch Türen und Wände. Manchmal erkennt man ihn bloss an Symbolen wie Wunden oder gebrochenem Brot. Gerne hätte ich jedenfalls ein Bild, ein Verständnis für die Auferstehung, für den Auferstandenen gehabt. Der Verstand will verstehen.

Ich fand ein Bild in der Kunst für den Übergang vom irdischen zum auferstandenen Leben. Auf alten Krippendarstellungen ist manchmal ein Schmetterling dargestellt. Die Vorstellung ist folgende: Im Leben sind wir wie gefrässige und manchmal unruhige Raupen, dann vor der Schlüpfen, Kokonphase, geschieht Ver-Wandlung und es kämpft sich ein Schmetterling aus dem Kokon hervor. Es ist dies ein wunderbares Bild, ergreifend beim Zusehen. Ich hatte einmal zum Meditieren eine solche Raupenzucht im Zimmer. Vor dem Verpuppen rannten die Raupen nächtelang, dann das Warten, plötzlich knackte es und langsam befreite sich ein wunderbarer Schmetterling aus dem Kokon heraus, entfaltete sich und flog nach einer Weile davon. Ich staunte ab der Wandlung.

Wie ist mit den Widersprüchen in den Auferstehungs-Erzählungen umzugeben? Mein Mitbruder Norbert Seibert in Schwyz, ein halbes Jahr lang Mitnovize von mir, würde meinen: Typisch Adrian, der kann es nicht Seinlassen, immer seine Fragerei. Ja, das war im Noviziat nicht anders! Stimmt, und manchmal finde ich auch Antworten, die vielleicht nicht für die Ewigkeit geschaffen sind, aber fürs irdische Leben. Das Bild «Raupe-Schmetterling» war mir vor Jahren sehr wichtig, in den letzten Wochen sind mir zwei andere Gedanken sehr wichtig geworden, die ich euch hier gerne vorstelle:

  1. Gott kann sich in das Gewand kleiden, das einem Menschen entspricht.
  2. Gott ist noch anders als anders

Meine 1. Entdeckung:
Gott kann sich in das Gewand kleiden, das einem Menschen entspricht

Viele von Ihnen haben wohl schon sterbende Menschen begleitet. Manchmal kommt es vor, dass diese Menschen spezielle Träume oder aber auch Wach-Visionen haben. Wie ist damit umzugehen? Sind Träume nur Schäume? Darum habe ich von Simon Peng-Keller das Buch «Sinnereignisse in Todesnähe» gelesen. Er bringt viele Beispiele von Träumen und Visionen und versucht diese einzuordnen und zu deuten. Heute gibt es einen richtigen Hype zu Nahtod-Erfahrungen und dessen Deutungen. Selbst das Schweizer Fernsehen bringt immer wieder entsprechende Sendungen. Bei Simon fand ich die folgenden wunderbaren Sätze: «Dass visionäres Erleben inspiriert sein kann, gehört bis heute zu den Grundüberzeugungen gelebter Religion. Visionäres Erleben und sein Ausdruck sind ‘the stuff of inspiration’. Oder poetischer formuliert: Gott kann sich in das Gewand kleiden, das ihm die menschliche Imaginationskraft näht.»

Diese Formulierung gefällt mir sehr und macht auch Sinn. Der Auferstandene kann den Jüngern mit den Wunden erscheinen oder auch im Brechen des Brotes oder wie es einem Menschen entspricht. Durch die Gabe des Heiligen Geistes kann daraus eine Gottesbegegnung, eine Gotteserfahrung entstehen. Und so sagt der Auferstandene im heutigen Tagesevangelium auch: Empfangt den Heiligen Geist. Gott passt sich dem Menschen und seinen Vorstellungen an. Er macht sich mir, uns verständlich, ja, er kann uns begegnen! Und dazu muss Gott sich nicht in irgendwelche menschliche Konstrukte oder Vorstellungen zwängen. Er ist frei, begegnungsoffen. Nicht ich muss verstehen, sondern Gott zeigt sich mir, dir, uns, so, wie es uns entspricht.

Meine 2. Entdeckung: Gott ist noch anders als anders

Beim Dichter Andreas Knapp fand ich ein sinniges Gedicht mit dem Titel «Weisheit»: «die dinge sind, wie sie sind; wir menschen, sind erst im werden; und gott, noch anders als anders». Ja, oft ist es schnell gesagt, dass Gott anders ist, aber er soll trotzdem in unsere Kategorien hineinpassen. Und so habe ich versucht, Auferstehung und Auferstehungserfahrungen in eine menschliche Logik hineinzuzwingen, auch wenn ich ihm scheinbar sein Anders-Sein belassen habe. Wenn nicht so, dann halt so, eben anders. Materiell oder geistig; spürbar oder sehbar; visuell erkennbar oder eben nicht, leiblich oder eben körperlich, usw. Doch: Gott ist noch anders als anders. Nicht nur das andere, das zweite meiner Vorstellung. Sondern eben auch anders als meine Vorstellung vom Anders-Sein.

Und der Menschen-Vers des Gedichtes von Andreas Knapp stimmt auch, völlig: wir Menschen sind erst im Werden. Immer am Wachsen und staunen. Auch in unseren Gottes-Vorstellungen und in unserer Gottes-Beziehung, im Werden. Mit Gewinn verkoste ich das Gedicht von Andreas Knapp immer wieder neu: «die dinge sind, wie sie sind; wir menschen, sind erst im werden; und gott, noch anders als anders». Ach ja, die Dinge sind, wie sie sind. Das vergesse ich auch gerne. Nicht wie ich sie möchte!

Lieber Hans

Vierzig Jahre Priester, vierzig Jahre Sakramente feiern. Oft erfahre ich das Brotbrechen als irdisches Brotbrechen, ohne tiefere Begeisterung. Ich weiss zwar, dass … und ich kenne einige theologische Theorien zu Sakramenten und zum Brotbrechen. Dann fehlt mir der Heilige Geist und ich lebe aus der Erinnerung. Doch selten, aber immerhin, durfte ich auch schon geistbegabt zur Kommunion schreiten, und so den Auferstandenen erahnen, erspüren. Danke dir für dein Brotbrechen und deinen Dienst, in deiner Art und mit deiner dir eigenen Begeisterung. Amen.

Adrian Müller, www.adrianm.ch

Zeit und Raum

Edito zu ITE 2022.2: Immer schneller dreht das Rad des Lebens

In den Ferien pflegen viele einen anderen Lebensstil als zu Hause während ihres Alltags. Meistens ändert sich in den Ferien der Lebensort und der Tagesablauf. Ich gehe dann gerne irgendwo in der Schweiz wandern und bin froh, wenn ich keinen Wecker mitnehmen muss. Viele Menschen fahren gerne in den Süden, an die Wärme, und hoffen, am Strand und im Wasser Erholung und Musse zu finden – was Ihnen und uns allen immer wieder zu wünschen ist.

Franz von Assisi war ein kreativer Mensch, und so wird ihm einiges nachgesagt. Ich behaupte hier einmal, dass Franziskus der erste konsequente Ferientechniker war und er mir diesbezüglich ein grosses Vorbild ist. Ich kenne keinen anderen Ordensgründer, der für seine Brüder zwei Ordensregeln geschrieben hat: Eine für den Alltag in der Nähe der Stadt und eine weitere für die «Ferien» im Grünen, in der Stille. Und nach meinem Wissen hat sich der engagierte Bruder oft zwei Mal im Jahr für einen Monat in ein Eremo zurückgezogen: einmal vor Ostern und einmal vor Weihnachten.

«Jene, die als Ordensleute in Einsiedeleien verweilen wollen, sollen zu drei oder höchstens zu vier Brüdern sein … und sie sollen ein umzäuntes Stück Land haben … und sie sollen ihre Tagzeiten beten …», so ist in der Regel für Einsiedeleien zu lesen. Gedacht ist dieser alternative Lebensstil als Gegenstück zum aktiven Leben und Wirken in der Stadt. Interessant ist die klare Begrenzung für die Anzahl Brüder wie auch die Begrenzung auf einen abgelegenen Ort. Viel Raum nimmt in der Regel – hier nicht wiedergegeben – die zeitliche Planung und Durchstrukturierung des Tages ein.

Diese Regel für die Einsiedeleien kann auch heute für die Ferienplanung genutzt werden. Mit wem – Familie, lieben Menschen – mache ich wo – einem Ort anderswo – wie – mit einer klaren Tagesstruktur – Ferien. ITE 2/2022 ist keine Feriennummer, doch beschäftigt sich diese Ausgabe mit Zeit und Raum in einer Kultur der Veränderung. Das Leben, die Gesellschaft und Kultur entwickeln sich immer schneller, die Menschen begegnen sich weltweit. Davon handelt diese Ausgabe.

Gratis-Probenummern bei: Missionsprokura Schweizer Kapuziner, Postfach 1017, 4601 Olten. Telefon: 062 212 77 70. Oder www.ite-dasmagazin.ch

Aufbrechen und besser machen

Predigt vom 3.04.2022 zu Joh 8,1-11: Liebe Mitfeiernde

In der Schule, im Leben heisst es stets, Störungen gehen vor. Auch Jesus kannte diesen Grundsatz. Jesus predigt dem Volk als die Schriftgelehrten und Pharisäer ihn stören und seine Rede unterbrechen. Übrigens keine echte, offene Frage, die sie stellen. Die Antwort meinen sie schon zu wissen. Es geht um eine Scheinfrage, eine Fangfrage, um Jesus anklagen zu können.

Für mich gibt es vier Perspektiven auf das heutige Evangelium, so auch vier Verhaltensweisen, die wir wohl aus unserem Leben kennen. Ein Handeln wie das Volk, wie die Schriftgelehrten und Pharisäer, wie die Frau, wie Jesus.

Das Volk kommt zu Jesus und geht dann wieder fort. Es ist und bleibt passiv und beobachtend, vermeintlich unschuldig. Vielleicht auch etwas sensationslüstern? Der Text lässt das offen. Niemand verteidigt die Frau oder Jesus und seine Lehre. Niemand wirft einen Stein. Nach der stillen Intervention von Jesus fühlt man sich sündig, betroffen und geht still. Doch wartet niemand auf das Ende der Begegnung oder auf weitere Worte von Jesus. Ja, auch in unserem Alltag reihen sich viele Situationen und Erfahrungen aneinander. News und ihre Themen kommen und gehen. Halbwissen prägen oft unsere Gespräche und Medien. Haben und nehmen wir uns Zeit, Geschichten zu Ende zu hören und zu verfolgen? Was ist eigentlich Sache?

Die Schriftgelehrten und Pharisäer stören die anderen. Sie kommen sich schlau vor, sie kennen das Gesetz und Mose und sind unehrlich. Sie wissen ihre Antwort schon. Schriftgelehrte und Pharisäer wollen handeln nach der Tradition, ohne Nachdenken oder genaues Hinsehen auf die heutige Situation, ohne Liebe oder Selbsterkenntnis. Was wäre eigentlich Sache? Wo bleibt der Mann, der beim Ehebruch beteiligt war? Profilierungssucht gibt es überall. Doch ist ihre Grundlage nicht Weisheit und Barmherzigkeit. Schriftgelehrte und Pharisäer sind laut und brutal. Je mehr Gebrüll, desto weniger Argumente – so erleben wir es in Politik und im Alltag manchmal auch. Vereinfachend. Schwarz und weiss sehend. Sie hätten vielleicht besser Jesus zuerst einmal aufmerksam zugehört, sich Zeit genommen, bevor sie ihren Aufstand starteten und so Unordnung schaffen. Sind das die wahren Ordnungshüter?

Interessanterweise bleibt die Frau schweigsam. Sie kommt mir vor, wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird. Sie wehrt sich nicht gegen die Anschuldigungen, frägt nicht nach dem beteiligten Mann. Eine kurze Antwort am Schluss an Jesus: «Keiner, Herr». Die Geschichte endet abrupt. Hat die Frau vielleicht noch danke gesagt für das gerettete Leben? Vielleicht noch erzählt aus ihrem Leben? Oder einfach Schwamm drüber und weiter …

Betrachten wir die Erzählung mit dem Erleben von Jesus. Nach dem persönlichen Gebet am Ölberg begibt er sich in den Tempel und lehrt. Dazu setzt er sich, ein Zeichen von Zeit haben und Zeit nehmen, da sein. Und bald wird er unterbrochen und herausgefordert. Nein, er beginnt nicht sofort zu reagieren, zu argumentieren. Er verteidigt weder die Frau noch sich. Er schreibt auf die Erde und niemand schaut und überliefert uns, was er geschrieben hat. Jesus lässt sich Zeit und überlegt, wägt ab. In Konfliktsituation braucht es oft Zeit und Raum. Ich mache gute Erfahrungen mit überschlafen und reifen lassen. Im Aufbrausen liegen die guten Antworten nicht.

«Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als erster einen Stein auf sie». Die Frage der Sünde steht für Jesus und seine Umgebung ausser Frage. Da wird keine Verteidigung oder Rechtfertigung aufgebaut. Auch Jesus wirft keinen Stein. Im Gegenteil: «Auch ich verurteile dich nicht. Geh und sündige von jetzt an nicht mehr!» Aufbrechen und besser machen ist die Einladung an die Frau wie an uns alle. Umkehr und Ausrichtung auf das Gute, auf Gott – so die Einladung. Das wünsche ich uns in den kommenden Tagen, aufbrechen und – wenn nötig – besser machen. Dazu sind wir befreit. Jetzt in der Fastenzeit erst recht.

Thesenartig zusammengefasst würde ich meinen:

  • Störungen gehen vor und werden ernst genommen.
  • Auf falsche, hinterhältige Fragen gibt es gereifte Antworten.
  • Unrecht wird wahrgenommen und angesprochen.
  • Ideen, Lehren, Traditionen werden an der Realität gemessen.
  • Beim Thema Sünde, Schuld braucht es den Blick auf unser eigenes Tun.
  • Trotz Sünde, Schuld im eigenen Leben lädt Gott uns ein weiterzugehen und es besser zu machen. Wir werden zum guten Leben befreit.
  • Und auch sind wir eingeladen, barmherzig und rücksichtsvoll wie Gott unsere Mitmenschen zu behandeln und zu verteidigen. Amen.

Eine Zeit danach

Telebibel: Nein, einen Erst-April-Scherz gibt es hier nicht. Bis Mitte April möchte ich einige Texte aus dem sogenannten Dritten Jesaia, das sind die Kapitel 56 bis 66 des Jesaia-Buches meditieren. Ende 19. Jahrhundert ging man davon aus, dass diese Kapitel nach dem babylonischen Exil Israels, nach 539 vor Christus, verfasst worden sind. Heute ist man vorsichtiger und sieht unterschiedliche Autoren, oder besser Propheten am Werk. Doch haben wir nun mit Corona und mit Ukraine-Krieg auch eine Zeit danach – so ist jedenfalls zu hoffen. Hier können die Beiträge gehört werden. Viel Vergnügen.

Töchter und Söhne Gottes

Predigt zu Phil 3,17-4,1 und Lk 9,28b-36
Der Soziologe Armin Nassehi beschreibt in seinem Buch «Unbehagen» eine überforderte Gesellschaft. Seine Studierenden stellen sich die Frage, warum wir, obwohl wir so viele Möglichkeiten und Wissen hätten, unsere Probleme der Welt und des Lebens nicht lösten. Wir kennen viele Zusammenhänge über die Klima-Erwärmung und trotzdem erreichen wir wenig. Als Soziologen lernen seine Studierenden vieles über gesellschaftliche Zusammenhänge, und sehen die Gesellschaften stolpern immer wieder. Im jetzigen Moment steht uns die Ukraine sehr nahe. Wir möchten in Frieden leben, und wir erleben Krieg und erhöhen die Verteidigungsausgaben, kürzen im Gegenzug Sozialausgaben. Papst Franziskus sagt meines Erachtens zu Recht, dass es in einem Krieg immer nur Verlierer und keine Gewinner gäbe. Hört endlich auf!

Sigmund Freud hat 1930 eine Schrift herausgegeben mit dem Titel «Das Unbehagen in der Kultur». Etwas salopp kann man seine These folgender-massen zusammenfassen. Der Mensch braucht Feinde, um seinen Aggressionstrieb zu leben. Je grösser die Gruppe wird, desto schwieriger ist es, den Aggressionstrieb direkt auszuleben – denn die Feinde verschwinden in der Ferne. Sozialer Zusammenhalt muss nach Freud mit Abgrenzung von anderen erkauft werden. Keine Liebe ohne Hass also. Steter Kampf.

Brauchen wir Christen und Christinnen auch Abgrenzung? Wohl bis zum zweiten Vatikanischen Konzil kannten wir Katholiken auch eine echte Abgrenzung zur Gesellschaft. «Ausserhalb der Kirche kein Heil», war ein Schlagwort der Abgrenzung. Die Juden waren oft die Anti-Christen, später oft die Muslime. Katholiken und Katholikinnen lebten in der Schweiz in einem katholischen Milieu, das sich klar vom reformierten und liberalen Milieu isolierte: Katholische Vereine, katholische Laden, katholische Schulen, usw.

Auch der als Lesung gehörte Philipperbrief grenzt klar ein und klar aus. Da gibt es die Feinde des Kreuzes Christi. Ihr Ende sei Verderben, ihr Gott der Bauch und ihre Ehre bestände in der Schande; Irdisches haben sie im Sinn. Die Anhänger und Anhängerinnen des Paulus aber, hätten ihre Heimat im Himmel und ihr armseliger Leib würde eines Tages in einen verherrlichten Leib gewandelt. Haben Paulus und Sigmund Freud recht? Ohne Feinde kein menschliches Leben auf Erden? Liebe nur für die Eigenen?

Ganz real sind die Konflikte, die wir tagtäglich erleben. Teilweise, wie beispiels-weise Kriege, sind sie eindeutig menschgemacht. Klimawandel hat gewiss mit unserem Handeln zu tun. Im Moment würde ich mal vermuten, dass Corona nicht vom Menschen gemacht ist – Gewissheit habe ich da nicht. Doch gibt es Naturkatastrophen, die meines Erachtens wenig bis nichts mit uns Menschen zu tun haben. Die Natur kann brutal sein.

Im heutigen Tagesevangelium hören wir, wie Jesus mit Petrus, Johannes und Jakobus beten geht. Interessanterweise schlafen die drei Freunde während Jesus mit Mose und Elija redet. Es hätte mich ja interessiert, was Mose und Elija über das Ende Jesu in Jerusalem Jesus gesagt haben. Später, am Ölberg wird es wieder so sein, die drei Jünger schlafen, während Jesus mit Gott um sein Leben ringt: «Abba, Vater, alles ist dir möglich; nimm diesen Kelch von mir; doch nicht, was ich will, sondern was du willst!» (Mk 14,36) Gott will den Kelch?!

Selbst am Ölberg hat Jesus um sein Leben gerungen. In solchen Situationen schlafen Jesu die engsten Freunde selig. Im heutigen Tagesevangelium finde ich es bezeichnend, dass Petrus – sobald er wieder wach ist und das für Jesus wohl ernüchternde Gespräch abgeschlossen ist – Hütten bauen will. Ja, wir möchten doch alle, auch als Kirche, Sicherheiten und Gewissheiten. Am liebsten ein fröhliches Fest, Gesang und Tanz, Freude und Lobpreis. Doch trotz einem liebenden, barmherzigen und allmächtigen Gott ist die Welt auch anders.

Liebe Töchter und Söhne Gottes, trotz Sigmund Freund und trotz Paulus glaube ich nicht, dass wir zum Leben Feinde brauchen und nur auserwählte Menschen gewandelt werden. Ich glaube ans Ja Gottes zu allen Menschen, alle sind wir seine Töchter und Söhne. Drei Punkte sind mir wichtig:

  • Die Natur ist Natur und als Menschen müssen und können wir lernen mit ihr zu leben, uns anzupassen, dass sowohl die Natur als auch wir Menschen Zukunft haben. Dabei wird die Natur unser Leben überleben, wenn wir es als Menschheit nicht schaffen. Nicht nur die Dinosaurier sind auf der Strecke geblieben. Sie können uns zu denken geben.
  • Ob wir Menschen hier auf Erden zum friedlichen Zusammenleben finden, das weiss ich nicht, das hoffe ich jedoch sehr und ich beginne jeden Tag neu damit, am Frieden zu bauen. Das Unbehagen an einer überforderten Gesellschaft teile ich; ja, im Angesicht vom Krieg in der Ukraine, von der aktuellen Hungersnot am Horn von Afrika, in Madagaskar, von wo einer meiner Schwager stammt, auch die Überschwemmungen in Australien usw. belasten mich sehr.
  • Wie können wir Christen und Christinnen an einen guten, barmherzigen, liebenden und allmächtigen Gott glauben, wenn wir die Härte der Natur und die Überforderung der Menschen sehen? Zu dieser Frage gibt es viele Bücher, ja Bibliotheken; doch meines Erachtens keine wirklich überzeugenden Antworten. Jesus zeigt uns im Evangelium, dass er zu Gottes Willen ja sagt, auch wenn es um eine für ihn düstere Zukunft geht. Als Verlierer und vom Tod Bedrohter weiss und hört er: «Dieser ist mein auserwählter Sohn». Zu uns wird gesagt: «auf ihn sollt ihr hören». Jesu Begegnung mit Mose und Elija sowie Gottes Ja lässt ihn und uns hoffen. Und auch wir dürfen uns sagen lassen, dass wir Töchter und Söhne Gottes sind. Amen.

100 Jahre ITE

ite 1/22: Vor einem Jahrhundert publizierten die Kapuziner ihren ersten Missionsboten. Dieser wurde später in ITE umgetauft. «Tu Gutes und sprich davon.» war der Grundsatz. Dabei lernten die Brüder immer mehr, dass es auch kritische und vielfältige Blicke auf die Welt, die Kirche und das eigene Tun braucht. Im Verzeichnis der Schweizer Kapuziner finden sich 2022 fünf «Publikationen der Provinz»: Helvetia Franciscana, ITE, frère en marche, Franziskuskalender und Missionskalender. Mag sein, dass es auf der Kanzel etwas ruhiger geworden ist, doch sind die Brüder medial vielfältig präsent. ITE 2022.1 hält Rückschau und macht eine Bestandesaufnahme der Gegenwart. Die Brüder und die Redaktion sind motiviert in die Zukunft zu schreiben und fotografieren. Viel Vergnügen!

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Wirklich frohe Botschaft?

Liebe Geschwister in Christus (Pedigt vom 13.02.2022)

Unser Wissen um die Zeit und Entwicklungsprozesse wächst und erweitert sich. Wir sind auf dem Weg und vieles ist offen. Letzthin war ich bei einem Patenkind zu Besuch. Er hat im Chemie-Unterricht nicht mehr nur ein Buch, wie ich damals, sondern auch Computer-Programme fürs Lernen. Und diese können Theorien veranschaulichen. Zum Beispiel: Wasser ist eine chemische Verbindung aus Sauerstoff und Wasserstoff, H2O. Zu meiner Schulzeit hiess es, das Wassermolekül besteht aus zwei Wasserstoffatomen und einem Sauerstoffatom. Ich stellte mir vor, man wirft die Atome zueinander und sofort hat man Wasser. Bei der Animation auf dem Computer lernte ich, dass chemische Prozesse Zeit brauchen. Die verschiedenen Atome müssen sich finden und dann auch binden. Auf dem Bildschirm sahen wir die Atome in einem Aquarium herumschwirren und ab und zu, zack, da gab es eine Verbindung. Ich staunte und bin dankbar für dieses neue Verständnis von chemischen Prozessen. Auch da braucht es Zeit.

Oft ist es uns klar, dass Reifung Zeit braucht. Keine Frage, beim Wein muss man einige Jahre warten, bis er seinen Jahrgang hat. Bei einigen Prozessen kann man kaum warten, bis es soweit ist. Vor allem Kinder müssen sich bei einigem gedulden. Wenn ich die Schule fertig habe, dann … Wenn ich achtzehn bin, dann … Wenn ich einen Meter fünfzig gross bin, dann … darf ich in Rust auf den Eurospider. In meinem Alter höre ich wohl am ehesten, wenn ich mal pensioniert bin, dann bin ich frei und mache was ich will. Welche «wenn …, dann …» hören Sie am meisten in ihrem Alltag?

Bei Jesus ist die Satzstruktur: «Selig …, denn …»; aber auch «Weh euch …, denn …».

Bei der ersten Seligpreisung im Lukasevangelium gibt es keine Wartezeit: Selig ihr Armen, denn euch gehört das Reich Gottes. Nun, diese Aussage ist eher ein Frust für mich, wohl für uns alle. Leben wir doch in einem reichen Land und wenige von uns können von sich behaupten arm zu sein. Selbst als Kapuziner mit dem Gelübde «ohne Eigentum» zu leben, hüte ich mich, von Armut zu sprechen. Und das Lukas-Evangelium vermeidet wohlweislich, Armut allzu schnell zu spiritualisieren. Ich denke, dieser Stachel in unserem Fleisch – wie es Paulus wohl formulieren würde – ist sehr wichtig und verhindert, dass wir uns zu schnell aus der Verantwortung für die Verteilung des Reichtums in der Welt nehmen und uns selbstgefällig zurücklehnen. Auch bei uns sind die sozialen Unterschiede gross.

Weiter hören wir aus dem Tagesevangelium:

Selig, die ihr jetzt hungert, denn ihr werdet gesättigt werden.
Weh euch, die ihr jetzt satt seid, denn ihr werdet hungern.

Selig, die ihr jetzt weint, denn ihr werdet lachen.
Weh euch, die ihr jetzt lacht; denn ihr werdet klagen und weinen.

Ehrlich, solche Sätze mag ich nicht. Nein, bitte nicht alles auf den Kopf stellen. Ziel soll es doch sein, dass niemand hungert, dass niemand weint, dass alle glücklich sind und in Fülle leben dürfen. Was sage ich als satter, übergewichtiger Mensch zu solchen Sätzen?

Eben habe ich in der Zeitung (www.journal21.ch) gelesen: «Zehn Prozent der Weltbevölkerung haben nicht genügend Nahrungsmittel. Das sind 811 Millionen Menschen. Allein im letzten Jahr stieg die Zahl um 161 Millionen. Dies berichtet die «UN Global Humanitarian Overview».» Mag sein, dass ich mit den vielfältigen Ursachen oft wenig zu tun habe. In der Zeitung ist zu lesen: «Eine wichtige Rolle spielen bewaffnete Konflikte, extreme Wetterbedingungen, Pflanzenkrankheiten, die Corona-Pandemie, logistische Schwierigkeiten, bedürftige Menschen zu erreichen – und Heuschreckenplagen.»

Und trotzdem dröhnt in meinen Ohren: Weh euch, die ihr jetzt satt seid, denn ihr werdet hungern. Nun, eine echte Antwort auf diesen Weh-Ruf habe ich keine. Höchstens viel Gottvertrauen in Gottes Liebe und Barmherzigkeit. Auch wir sind seine Geschöpfe und versuchen Verantwortung wahrzunehmen – auch wenn wir manchmal auf der Stecke bleiben.

Ach ja, und wie gehen wir mit dem letzten Gegensatzpaar um:

Selig seid ihr, wenn die Menschen euch hassen und wenn sie euch ausstossen und schmähen und euren Namen in Verruf bringen um des Menschensohnes willen.
Weh, wenn euch alle Menschen loben. Denn ebenso haben es ihre Väter mit den falschen Propheten gemacht.

Für mich haben diese Sätze gegenwärtig eine besondere Brisanz. Da denke ich beispielsweise an die Missbrauchsfälle in der römisch-katholischen Kirche. Auf den klerikalen und hierarchischen Machtmissbrauch bin ich gar nicht stolz. Da braucht es einige und schnelle Veränderungen im System, aber auch im konkreten Leben.

Was können diese «Selig-» und diese «Weh-Sätze» von Jesus mir heute sagen?

Schwierig. Vielleicht; spring über deine eigenen Schatten, deine Bequemlichkeit, mache dich stark für das Leben und sei kritisch. Ändere deine Lebensgewohnheiten. Werde politisch. Orientiere dich nicht an Meinungen oder an Mehrheiten, sondern steh ein für den Gott des Lebens, der Gerechtigkeit will und Frieden schafft; den Gott der Liebe und der Barmherzigkeit. Überspringe konfessionelle, religiöse, wirtschaftliche, politische Widerstände und vertraue mit Jesus von Nazareth auf das Leben, auch wenn es zu verlieren scheint. Lebe, gewaltfrei und lebensbejahend ….

Paulus, wie wir ihn in der Lesung gehört haben, macht mir Mut. Er schreibt: Nun aber i s t Christus von den Toten auferweckt worden als der Erste der Entschlafenen.
Ja, ich glaube, dass Gott die Schöpfung in seinen Händen hat und das Reich Gottes eines Tages für alle Menschen vollendet wird, auch für uns. Ich glaube und vertraue auf Gott, auch wenn ich noch nicht alle Zusammenhänge und Verbindungen des Lebens und unseres Glaubens verstehe. Vielleicht ist das ein Prozess, wie ich ihn mit meinem Patenkind zusammen auf dem Computer bestaunen konnte, ihn aber jetzt noch nicht verstehen kann. Und da sage ich mir: Trau Gott und seinem Ja zum Leben. Amen.

Bibeltexte 1 Kor 15,12.16-20; Lk 6.17.20-26

Blick in die Feuilletons

SRF2: Adrian Müller ist der neue Präsident des Vereins Katholisches Medienzentrum. Als Provinzrat der Schweizer Kapuzinerprovinz engagiert er sich für die Brüder und Klöster der deutschsprachigen und französischsprachigen Schweiz. Er ist ausserdem Chefredaktor der Kapuziner Zeitschrift «ite». Wir sprechen mit ihm über seinen theologisch-journalistischen Blick auf die Medien. Hier geht es zum Beitrag.

Gott sagt ja; der Geist wirkt

Predigt vom 9. Januar 2022 zu Lk 3,15.21-22, Taufe des Herrn

Liebe Getaufte

Johannes der Täufer weiss gut, wer er ist und wer er nicht ist. Er taufe nicht mit dem Heiligen Geist, sagt er seinen Täuflingen. Jesus von Nazareth bekommt im heutigen Tagesevangelium von seinem Vater zugesagt: «Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen gefunden.»

Liebe Getaufte, wer sind Sie? Was ist Ihnen zugesagt worden?

Heute, am 9. Januar habe ich Namenstag. Nomen est omen, heisst es. Der Name ist Programm und wurde uns allen von unseren Eltern mit auf den Weg gegeben. Was haben sich unsere Eltern dabei gedacht? Eine meiner Schwestern hatte drei Kriterien für die Namensgebung ihrer Kinder:

  1. Kurz muss er sein, so dass man ihn im Berndeutsch nicht verkürzt.
  2. Da ihr Mann französisch spricht, muss er deutsch und französisch verwendet werden können.
  3. Der Name soll ästhetisch gut tönen. Luc und Joel heissen ihre Söhne.

Heute möchte ich Ihnen erzählen, wie ich die Botschaft meines Namens fand. Jesus von Nazareth hat den Zuspruch «mein geliebter Sohn» erst als Erwachsener erfahren. So erging es auch mir. Als ich bei den Kapuzinern das Postulat begann, fragte mich der Guardian als Erstes: Wann feierst du Namenstag? In Bern kennen wir den Brauch der Namenstage nicht. Ich suchte in der Klosterbibliothek Bücher zum Thema Namen und Namenstag und fand folgende drei Möglichkeiten für meinen Vornamen:

  1. Als ersten Adrian fand ich Hadrian von Nikomedia, der am 8. September gefeiert wird. Hadrian musste nach der Legende als Hauptmann der römischen Armee unter Kaiser Galerius Christen verfolgen. Deren Standhaftigkeit bekehrte ihn und führte ihn zum eigenen Martyrium. Nein, einen Soldaten und Märtyrer wollte ich nicht als Namenspatron. Das kann nicht mein Lebensziel sein. So suchte ich weiter.
  2. Für den 9. März fand ich einen weiteren Adrian. Leider auch Soldat und Märtyrer. Darum forschte ich weiter und wurde
  3. Mit dem heiligen Adrian von Canterbury fündig. Dieser wurde in Afrika geboren und starb am 9. Januar 710 in Canterbury. Sympathisch war und ist mir Adrian von Canterbury, weil er sich sehr für Bildung, Wissen, die Vernetzung von Kulturen sowie Verständigung und Frieden einsetzte. Dazu übernahm er auch Verwaltungs- und Planungsaufgaben. Das macht ihn mir sympathisch und das gab mir ein Lebensprogramm, mit dem ich mich 1989 anfreunden konnte und ich heute noch hochhalte. Dafür kann und will ich leben.

Wie ist das Namensprogramm von Jesus? Der Name Jesus ist die Kurzkurzform von Jehoschua. Der Name Jehoschua wurde nach dem babylonischen Exil meist in der Kurzform Jeschua verwendet. Jeschua war ein verbreiteter Vorname und kommt in der hebräischen Bibel vor allem als «Jehoschua ben Nun» vor. Jehoschua ben Nun hat das Volk Israel in das gelobte Land Kanaan geführt. Das biblische Buch Josua ist nach ihm benannt. Das Programm von Jehoschua ben Nun lässt sich auch auf Jesus von Nazareth übertragen: Jesus führt sein Volk zwar nicht ins gelobte Land Kanaan, aber die ganze Schöpfung durch Heilung und Versöhnung ins Reich Gottes. Das war sein Lebensprogramm: durch Heilung und Versöhnung ins Reich Gottes.

Unser heutiges Tagesevangelium enthält mehr als menschliche Zusagen und Absichten. Es ist Gott, der Heilige Geist in Gestalt einer Taube, der auf Jesus herabkommt, und eine Stimme aus dem Himmel, die sagt: «Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen gefunden.» Es sind dies nicht menschliche Versprechen und Wünsche, sondern Gottes Zusage, die sich bei der Taufe durch Johannes ereignet. Diese Sohnes-Zusage gibt Jesus uns weiter, indem er uns lehrt, zum «Vater im Himmel» zu beten. So werden wir alle zu Töchtern und Söhnen des einen Gottes, aber auch zu Geschwistern vor ihm und mit ihm, Jesus von Nazareth.

Durch unsere eigene Taufe dürfen wir glauben, dass Gott zu uns ja gesagt hat und uns beisteht. Und vielleicht wurden ihnen, liebe Mitfeiernde, in ihrem Leben sogar Erfahrungen geschenkt, die sie als Gottes-Begegnungen und Zusagen erlebt haben. Oft bleiben innere Gewissheiten, die uns Sicherheiten, Überzeugungen schenken. Oder auch ein klares Gespür für Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit. Gerechtigkeitsempfinden kann nach der Bibel Ausdruck von Gottes Gegenwart in unserem Leben sein. Im Titusbrief hörten wir zusätzlich vom besonnen leben, als Zeichen Gottes Wirken in unserem Leben.

Vielleicht mögen die Zusage aus dem Glauben lieber etwas theologischer formuliert. In der Lesung hörten wir: Den Heiligen Geist hat Gott «in reichem Mass über uns ausgegossen durch Jesus Christus, unseren Retter, damit wir durch seine Gnade gerecht gemacht werden und das ewige Leben erben, das wir erhoffen.» Tit 3,6-7. Kurz gesagt: es geht um Gottes Ja zu uns und des Geistes Wirken in unserem Leben. Amen.