Halleluja, Jesus lebt

Ostermorgen vom 31. März 2024, Apg 10, 34a.37-43, Joh 20,1-18

Wie schön, dass wir nun wieder Halleluja sagen und vor allem singen dürfen. Ich habe das Halleluja in der Fastenzeit vermisst. Beim Beten ohne Halleluja fehlt mir etwas Wichtiges und Vertrautes. «Preiset Gott»; «Lobet Gott»; so kann Halleluja übersetzt werden. Innerhalb des Alten Testamentes kommt Halleluja vor allem im liturgischen Kontext vor. Bevorzugt in den Lobpsalmen. Und besonders an Ostern dürfen wir Gott loben von ganzem Herzen, denn «Jesus lebt». Der tot geglaubte lebt und ist auferstanden. Welch eine Hoffnung! Welch eine Freude! Welch ein Glaube!

Die Osterzeit dauert fünfzig Tage bis Pfingsten. Und in dieser Zeit dürfen wir einige Geschichten hören und meditieren, die von Ostererfahrungen handeln. Schon heute haben wir mehrere Möglichkeiten. Da kennt die Apostelgeschichte ein Dreistufen-Modell. Im Tages-Evangelium könnten wir die Erfahrungen von Petrus oder vom anderen Jünger, den Jesus liebte, genauer ansehen und betrachten. Es sind dies persönliche Oster-Erfahrungen. Ich möchte mich heute mit der Ostererfahrung von Maria von Mágdala etwas genauer auseinandersetzen. Ich sehe bei ihr fünf Phasen:

  1. Sich dem Tod, dem Negativen, dem Traurigen, der Realität stellen
  2. Offene Fragen in die Gemeinschaft tragen, teilen und mitteilen
  3. Bei sich und bei seinen Gefühlen bleiben, jedoch offen für Überraschungen, für das andere bleiben
  4. Sich vom Göttlichen ansprechen lassen und erkennen
  5. Verkünden, der Gemeinschaft Zeugnis geben

Sich dem Tod, dem Negativen, dem Traurigen, der Realität stellen

Ich habe es oft wie die Jünger und ziehe mich in schwierigen Situationen zurück, brauche Ruhe und Zeit zum Denken sowie Sortieren. Maria von Mágdala hingegen stellt sich dem Leid und sucht aktiv das Grab auf. Sie verschliesst die Augen vor dem Leid, dem Tod nicht. Sie geht zum Leichnam – und meine Erfahrung zeigt, dass bei Toten oft ein einzigartiger Frieden ist. Die Situation ist jedoch ganz anders als erwartet! Verstörend und beängstigend. Der Leichnam ist weg. Das Grab offen. Geplündert?

Offene Fragen in die Gemeinschaft tragen

Maria von Mágdala bleibt mit dem Schrecken nicht allein. Sie geht zu Freunden und teilt ihren Schreck und ihre Sorge. Dies auch auf die Gefahr hin, nicht verstanden zu werden. Und prompt, die beiden Männer lassen die Frau stehen, ohne auf ihre Not zu achten. Maria teilt ihre Erfahrung mit.

Bei sich und bei seinen Gefühlen bleiben, jedoch offen für Überraschungen, für das andere bleiben

Die beiden Männer gehen hastig ins Grab und verschwinden scheinbar schnell wieder. Sie wollen sich möglichst nicht lange an diesem traurigen Ort aufhalten. Maria von Mágdala kommt an den Ort des Grauens zurück. Interessanterweise geht sie nicht wie die Jünger ins Grab hinein, sondern sie bleibt draussen und weint, sortiert ihre Gefühle. Hat das draussen bleiben mit Respekt vor dem Heiligen, vor dem Unaussprechbaren zu tun? Ich weiss es nicht. Doch der Blick nach drinnen offenbart zwei Engel, Boten Gottes, die mit ihr sprechen, interessanterweise ohne eine Antwort zu geben. Sie lassen Maria von Mágdala ihre Sorge formulieren: Sie haben meinen Herrn weggenommen und ich weiss nicht, wohin sie ihn gelegt haben. So geht es mir oft im Gebet, dass ich da meine Ängste und Sorgen formulieren kann.

Sich ansprechen lassen

Der Blick in die Welt, nach draussen erst gibt ihr Antwort. Als sie im Gärtner Jesus erkennen kann, erkennt Maria von Mágdala ihren Rabbúni, ihren Meister. Dabei lernt sie, dass sie den Auferstandenen nicht festhalten kann. Der Auferstandene passt in kein Schema, aber er gibt ihr einen Auftrag: Geh zu meinen Brüdern und verkündige ihnen: Ich gehe hinauf zu meinem Vater und eurem Vater, zu meinem Gott und eurem Gott. Oft zeigt mir nach dem Gebet der Blick in die Realität, ins Leben meine konkreten Aufgaben auf. Das Gebet kann dazu vorbereiten.

Verkünden, der Gemeinschaft Zeugnis geben, weitererzählen

Die Bibel verliert mit der Verkündigung der Maria von Mágdala wenige Worte. Sie, die Apostelin der Apostel braucht weder viele Worte noch Fussnoten. Die Erfahrung, das persönliche Angesprochen-Sein sind bedeutungsvoll. Sie ist ihrem Rabbúni treu und erfüllt den erhaltenen Auftrag. Marias Oster-Erfahrungs-Modell ist also:

  1. Sich dem Tod, dem Negativen, dem Traurigen, der Realität stellen
  2. Offene Fragen in die Gemeinschaft tragen, teilen und mitteilen
  3. Bei sich und bei seinen Gefühlen bleiben, jedoch offen für Überraschungen, für das andere, geheimnisvolle, das Göttliche bleiben
  4. Sich von Jesus, dem Auferstandenen ansprechen lassen
  5. Verkünden, der Gemeinschaft Zeugnis geben, weitererzählen

Halleluja, Jesus lebt, halleluja. Amen.

Lasset uns beten …

ITE 2024/1: Die intime Vielfalt der Gottesbeziehung.

Exerzitien-Meister raten, vor dem Gebet ans Fenster zu stehen und den Blick in die Weite schweifen zu lassen. Und erst nach dieser Weitung des Blicks sich ins Herz zurückzuziehen, um bei Gott zu verweilen. Weite und Tiefe als ein möglicher Prozess des Betens. «Beten ist nicht nur denken oder reden, sondern es ist lieben», vertritt der Kapuziner Marcel Durrer mit Blick auf Jesus von Nazareth. Auch die Psalmen haben das Beten von Jesus geprägt. Da lässt sich feststellen: «Die Psalmen sparen nicht mit Gefühlen: Freude, Traurigkeit, Angst und sogar Zorn.»

ITE 2024/1 berichtet über zahlreiche Formen des Gebets: Von der franziskanischen Gebetskunst bis hin zur Gebetsapp von Papst Franziskus. Sarah Gaffuri hat diese App ein Jahr lang getestet und äussert ein vorläufiges Fazit. Nicht zuletzt darf neben dem kapuzinischen Beten auch der Weg des Gebets der Sufi-Meister nicht fehlen. Die Vielfalt des Betens ist enorm und bereichert.

Gratis-Probenummern bei: Missionsprokura Schweizer Kapuziner, Postfach 1017, 4601 Olten. Telefon: 062 212 77 70. E-Mail: abo@kapuziner.org

Weitere Informationen unter www.ite-dasmagazin.ch

Geläutert und gestärkt

Predigt vom 18. Februar 2024; Gen 9,8-15; Mk 1,12-15

Wir erleben Überschwemmungen, Zunamis und wir erfahren Wüsten, Verödung. Die Erfahrungen des Noah und des Jesus von Nazareth lassen uns wissen, dass Gott sowohl während der Überschwemmung wie auch in der Wüste gegenwärtig war. Weder die Wasserwüste noch die Sandwüste sind gottlos. Gott ist mit Menschen und Tieren, auch in Extremsituationen. Auch sind sie nicht End-, sondern Übergangs-Situationen.

Die beiden heutigen Tages-Texte stehen am Beginn, am Beginn des Alten Testaments sowie am Beginn des Markus-Evangeliums. Sie thematisieren einen Neubeginn. Nach der Geschichte der Sintflut beginnen Mensch und Tiere die Erde neu zu bevölkern. Nach der Wüstenerfahrung wird der vermutlich dreissigjährige, frisch von Johannes getaufte Jesus mit seinem Wirken beginnen und einen Neuanfang setzen.

Interessanterweise kennt nicht nur das Alte Testament, sondern auch die Erdgeschichte schon Massensterben auf der Erde. Oft werden in der Wissenschaft deren fünf genannt. Da wird beispielsweise über das Aussterben der Dinosaurier gerätselt und es gibt mehrere Erklärungs-Modelle dafür. Ein Beispiel:

«Vor 66 Millionen Jahren schlug im Golf von Mexiko, nahe der heutigen Ortschaft Chicxulub Pueblo, ein Asteroid mit rund zehn Kilometer Durchmesser ein. Der Treffer löste wohl augenblicklich kilometerhohe Tsunamis aus, die ganze Kontinente unter sich begruben. Verheerende Brände folgten, Rauch und Staub verdunkelten über Monate den Himmel. Infolgedessen starben etliche Tiere aus, darunter die Dinosaurier und Ammoniten, die rund 190 beziehungsweise 340 Millionen Jahre lang die Erde bevölkert hatten.» (https://www.spektrum.de/magazin/erdgeschichte-nach-dem-weltuntergang/1875796)

Wie bei der Noah-Geschichte starben bei diesem Massensterben nicht alle Lebewesen aus. So wird beispielsweise heute vermutet, dass das Huhn in seiner genetischen Entwicklung ein überlebender Dinosaurier sei. Doch ich will hier nicht naturwissenschaftliche Fragen und Theorien weiterbehandeln – auch wenn ich sie höchst spannende finde –, sondern zu unseren beiden biblischen Texten zurückkehren.

Die Noah-Geschichte im Buch Genesis erzählt vermutlich von einer lokalen Sintflut und nicht von einem erdgeschichtlichen Massensterben. Doch geht es der Erzählung von Noah nicht um naturwissenschaftliche Beschreibungen, sondern um die religiöse Erfahrung eines Unterganges und eines Neuanfanges mit Gott. Es soll im Buch Genesis besseres Leben entstehen und Gott formuliert einen Bund mit Menschen und Tieren: «Nie wieder sollen alle Wesen vom Wasser der Flut ausgerottet werden; nie wieder soll eine Flut kommen und die Erde verderben.» (Gen 9,11) Gott tut hier seine Lebens-Bejahung wie seine Selbst-Beschränkung kund. Er will nicht mehr zerstörerisch auftreten; keine Wasserflut mehr verantworten.

Das Markus-Evangelium nennt den Inhalt der Versuchungen nicht, die Jesus durchlaufen hat. Wichtiger scheint dem Evangelisten die Hilfe, die Jesus in der Wüste erfahren hat: Wilde Tiere sind anwesend (auch der Genesis-Text spricht zwei Mal von wilden Tieren und nicht von Haustieren) und Engel dienten ihm. Weder Noah noch Jesus sind allein im Leben. Spannend finde ich, dass in beiden Geschichten die Tiere eine wichtige Bedeutung haben. Nein, Mensch, du bist nicht allein auf Erden. Das wäre wohl ein guter Startpunkt, um unser Verhältnis mit Tieren genauer zu betrachten. Selbst wilde Tiere sind in den beiden Erzählungen Begleiter des Menschen und auch mit Gott auf dem Weg. Das kann auch für uns Bedeutung haben …

Liebe Christen und Christinnen

Heute ist der erste Fastensonntag. Die biblischen Texte stellen weder Verzicht noch Fasten ins Zentrum. Auch halten sie sich nicht lange mit dem Untergang oder mit der Moral auf. Sie erzählen uns einen von Gott gegeben – nicht menschengemachten – Neuanfang. Sei das als Bund bei Noah; sei das mit der Verkündigung von Gottes guter Nachricht durch Jesus von Nazareth: «Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um und glaubt an das Evangelium!» (Mk 1,15).

Neu-Ausrichtung auf Gott, einen guten Neu-Anfang des Lebens und den Glauben an die gute Botschaft Gottes wünsche ich uns für diese Fastenzeit. Und vielleicht dürfen wir in diesen Tagen erleben, wie Kriege ein Ende finden, wie persönlicher Streit gelöst wird – wie sich einiges zum Guten wendet. Darin scheint mir Gott mit uns auf dem Weg zu sein, wenn ich den Erfahrungen eines Noahs oder eines Jesus von Nazareth vertrauen darf.

Neu-Ausrichtung auf Gott, einen guten Neu-Anfang des Lebens und den Glauben an die gute Botschaft Gottes – eben, geläutert und gestärkt in eine neue Zukunft. Amen.

Zum Neuen Jahr

Predigt vom 1. Januar 2024; Lk 2,16-21; Gal 4,4-7

Liebe Söhne und Töchter Gottes, unseres Vaters im Himmel

Vor acht Tagen feierten wir Weihnachten und die Festtage neigen sich dem Ende zu. Es wartet der Alltag, und der beginnt heute. Was nehmen wir von Weihnachten in unseren Alltag mit? Die Tagestexte kennen drei Aspekte und haben einen Ratschlag. Aspekte:

  • Staunen, z.B. über das Leben eines Kindes – auch im Alltag.
  • Gottes Nähe in unserem Herzen erwägen und bewahren.
  • Wir sind Söhne und Töchter des Vaters, nicht mehr Sklaven und Sklavinnen Gottes wie vorher!

Und last but not least der Ratschlag: Nehmt euch nicht zu viel vor fürs Neue Jahr. Töchter und Söhne Gottes sind freigekauft und nicht für Zwang, gute Vorsätze oder irgendwelche göttliche Gesetze berufen!

Staunen, z.B. über das Leben eines Kindes – auch im Alltag.

Vor Jahren kam mein spanischer Mitbruder Policarpo zu mir und sagte: Meine Schwester, eine geniale Advokatin, sitzt Abend für Abend nach der Arbeit bei ihrem neugeborenen Kind und staunt über das Geschenk des Lebens. Im Herzen ist sie voll des Dankes und der Freude.

Genauso geht es den Hirten im heutigen Tagesevangelium des Lukas. Sie kommen nach Bethlehem und finden ein Kind. Zweimal kommt der Begriff Kind vor. Das bedeutet in der Bibel: Achtung wichtig! Das hat Bedeutung. Bei Lukas gibt es beim Kind keine Engel, keine Tiere und auch keine Wunder, wie sie der Evangelist Lukas ansonsten gerne erzählt. Die Hirten und Hirtinnen sehen das Kind, kehren in ihren Alltag zurück, rühmen dort Gott und preisen ihn. Ein Kind in Bethlehem verändert die Hirten und Hirtinnen. Dazu braucht es nichts anderes oder weiteres. Staunen übers Leben und Gottes Wirken im Alltag reicht.

Gottes Nähe in unserem Herzen erwägen und bewahren.

Im letzten ITE (2023/5) geht es um die Seele und Seel-Sorge. Heute: «Maria bewahrte alle diese Worte und erwog sie in ihrem Herzen» (Lk 2,18). Ich habe mir vorgenommen, einmal ein ITE zum Thema Herz zu machen. Es ist kompliziert und vielfältig. Herz kann ein moralischer Ort sein. Und im Alltag zeigt es sich, ob man ein Herz aus Stein oder der Nächsten-, Gottes- und Selbstliebe habe. Seele und Herz ist in der Bibel nicht dasselbe. Auch Tiere haben eine Seele, aber kein Herz im biblischen Sinn. Das Herz des Pharaos war verstockt und ein Herz kann aus Stein sein, meint der Psalm. Wichtig scheint mir bei Maria: Sie erwog die Worte der Hirten, die Geburt im Herzen. Nehmen wir also Weihnachten im Herzen als positive Nachricht und Handlungsanleitung mit in unseren Alltag!

Wir sind Söhne und Töchter Gottes, nicht mehr Sklaven!

Paulus hat Probleme mit den Galatern. Judenchristen verlangen von den Heidenchristen, dass diese zuerst echte Juden müssen werden, sich beschneiden und jüdische Gesetze einhalten. Völlig falsch meint der Apostel. Nach Paulus hat sich mit der Geburt des Sohnes Gottes alles verändert. Juden und Jüdinnen sind nicht mehr dem Gesetz des Alten Bundes unterstellt. Sie sind vom Sohn Gottes davon freigekauft und nun nicht mehr Sklaven, sondern Söhne und Töchter Gottes. Eben Erben und Erbinnen.

Galater, zumeist Heidenchristen und wir hier in dieser Kapuzinerkirche versammelte unbeschnittene Gläubige sind dank der Geburt des Sohnes Gottes auch Söhne und Töchter Gottes geworden. Und in unserem Herzen ruft der Geist, Abba, Vater. Und Achtung sage ich mit Paulus. Liebe Söhne und Töchter Gottes, lasst euch nicht wieder versklaven, von Gott abbringen, um wieder neu Sklaven und Sklavinnen zu werden. Nicht nur die Judenchristen können Schlagseite haben, nein, auch die Heidenchristen. In Galater 4,9-10 polemisiert Paulus gegen die unter den Galatern verbreitete Praxis, die Tage oder Monate für bestimmte Handlungen nach astrologischen Regeln festzulegen: Dies mache sie zu Sklaven astraler Mächte, der „Elementarmächte“, an die sie doch eigentlich gar nicht glaubten. Passen wir also auf, dass wir uns nicht ähnlich auch bestimmen und versklaven lassen. Ideologien dazu gibt es heute wieder mehr als genug!

Söhne und Töchter Gottes sind und bleiben wir auch im 2024. Hören wir also auch in unserem Alltag den Geist in unserem Herzen rufen: «Abba, Vater» und im 2024 ruft der Geist vielleicht «Abba, Vater, Mama, Mutter im Himmel». Vergessen wir nicht zu Staunen und uns an Gottes Gegenwart im Alltag zu erinnern und lassen wir uns die Freiheit der Töchter und Söhne Gottes nicht nehmen.

Geduld und Geburt

Vom 16. bis 31. Dezember bin ich wieder mit der Zürcher Telebibel unterwegs. Gott zeigt sich im Advent als geduldig und in der Weihnachtszeit als menschlich. Er kommt und lässt warten bis der neue Himmel und die neue Erde kommen. Auf https://telebibel.ch/zuerich kann man hineinhören. Viel Licht und Freude wünsche ich.

Welch eine Zeit

Predigt vom 10. Dezember 2023; Mk 1,1-8; 2 Petr 3,8-14

Am Mittwoch, 6. Dezember, war ich als Schmutzli unterwegs. Dabei wurde mir bewusst, dass Kinder heute in einer anderen Welt leben als ich. Gelobt wurden die meisten Kinder wegen ihrer Kreativität und Fähigkeit bei Problemen Lösungen zu finden. Im Tadel wurden sie oft zur Selbstständigkeit ermahnt: Ankleiden, Zähne putzen, Instrumente üben. Der Gehorsam Eltern oder Autoritäten gegenüber kam nicht vor. Das hatte ich vor dreissig Jahren als Samichlaus noch anders erlebt!

Letzten Sonntag war die Sternstunde Philosophie des Schweiz Fernsehens mit der Physikerin Sabine Hossenfelder. Sie hat die wunderbare Gabe komplexe Zusammenhänge sehr verständlich zu erklären und zu veranschaulichen. Sie hat deutlich gemacht, dass seit Einstein «Zeit» für Physiker nicht mehr linear, geradlinig ist und dass es für Physikerinnen keine Gegenwart gibt. Was wir im Alltag als Gegenwart verstehen ist für Physiker schon Vergangenheit. Und im Blick in den wunderbaren Sternenhimmel sehen wir teilweise das Licht von Sternen, die schon längst erloschen sind.

Nun, nicht nur für Wissenschafterinnen, sondern auch für Glaubende ist die «Zeit» ein spannendes Phänomen und hat unterschiedliche Aspekte. Dies wird im Advent besonders deutlich. Die griechische Sprache kennt drei Begriffe für «Zeit». «Chronos» ist die Zeit, wie wir sie auf unseren Uhren sehen. Es ist die Zeit, die Sekunden, Minuten und Stunden aneinanderreiht. Sie wird gezählt und gemessen. Der Begriff «Äon» bezeichnet eine «Lebenszeit» oder auch ein «Zeitalter» sowie die «Ewigkeit». Das Chlausen letzten Mittwoch hatte mit der Erfahrung eines solchen kreativen, selbstständigen und lösungsorientierten Zeitalter zu tun.

Die griechische Sprache kennt auch den Begriff «Kairos», der für Glaubende von grosser Bedeutung ist. «Kairos» meint einen geeigneten oder günstigen Zeitpunkt für eine Handlung, auch einen Gottesmoment. Die kurzen und dunklen Tage des Advents sind geeignet für die Wirkung von Kerzen. Darum Adventskränze und Weihnachtsbäume. Auch Fondue, Raclette und Glühwein sind geeignet für kalte Tage. Für uns Christinnen und Christen hat der «Kairos» vor allem mit Gottes wirken in unserem Leben und unserer Geschichte zu tun.

Der 2. Petrusbrief kennt für Gott ein eigenes Zeitempfinden. Beim ihm sind «ein Tag wie tausend Jahre und tausend Jahre wie ein Tag» (3,8). Es sind dies Realitäten und Erfahrungswerte, die für uns Menschen weder verständlich noch nachvollziehbar sind. Gott-Zeit ist nicht menschenlogisch oder Menschenerfahrung. Interessanterweise verbindet der Autor des 2. Petrus-Briefes diese Gott-Zeit mit Geduld. Gott ist geduldig mit uns Menschen, «weil er nicht will, dass jemand zugrunde geht, …» (3,9). Wie gerne hätte ich, wenn Gott heute eingreifen würde und Kriege und Konflikte beheben sowie Gerechtigkeit und Frieden schaffen würde. Doch Gott ist geduldig. Er gibt uns Menschen Zeit zur Umkehr, zur Versöhnung untereinander, mit der Welt und mit Gott. Welch ein Gedanke!

Das meint jedoch nicht, dass Gott untätig und weltfremd ist. Der 2. Petrusbrief verspricht uns «einen neuen Himmel und eine neue Erde, in denen die Gerechtigkeit wohnt» (3,13). Auch einen neuen Himmel! Im heutigen Tagesevangelium macht der Evangelist Markus deutlich, dass Gott immer wieder für uns Menschen Initiative ergreift und Menschen beruft. So zum Beispiel Johannes der Täufer in der Wüste, der den Menschen Umkehr und Taufe verkündigt. Der Asket bleibt nicht allein. Menschen kommen zu ihm und lassen sich taufen.

Johannes gehört zum «Kairos Gottes», der die Erde, die Menschen ihrer Bestimmung zuführen will. Er ist auch Ausdruck von Gottes Geduld mit uns Menschen. Gott hat Zeit und lässt uns umkehren, neu und anders werden. Johannes der Täufer verweist auf einen noch wichtigeren Kairos Gottes: «Ich habe euch nur mit Wasser getauft, er aber wird euch mit dem Heiligen Geist taufen» (Mk 1,8). Welch eine Verheissung, welch eine Geduld, Zuwendung Gottes! Und so können auch wir im Advent diese Geduld lernen und üben. Der neue Himmel und die neue Erde werden kommen und immer wieder gibt es spezielle Menschen und Momente im Weg dorthin. Und wenn wir achtsam sind, dann dürfen auch wir immer wieder solche Momente erleben und neu werden.

Vor zwei Wochen genoss ich Wanderferien vom Kloster Olten aus. Ich musste schnell packen und dachte wegen dem angekündigten Regen gar nicht an kalte Ohren und eine Mütze, nur an Schirme – und das in Mehrzahl. Als wir am ersten Tag fürs Wandern aufbrachen und auf den Bus warteten merkte ich schnell, was ich vergessen hatte, eine Mütze. Dumm dachte ich bei mir und versuchte mich nicht über mich zu ärgern. Denn es war kalt, eiskalt. Als dann der Bus vorfuhr und wir uns setzen wollten, lag da auf dem Sitz eine einsame Kappe. Zuerst zögerte ich, doch dann nahm ich sie als ein Zeichen Gottes, und zog die Kappe an, welche mir in den folgenden Tagen warme Ohren ermöglichte. Auch ein Zeichen an mich?

Ich weiss, man sollte solche Situationen nicht überinterpretieren, doch sah und sehe ich darin ein Zeichen der Zuwendung Gottes, das mir warme Ohren ermöglichte. Es war dies ein Gottesmoment, ein Kairos in meinem Kronos. Ja, ich mag umkehren zu Gott, wie Johannes der Täufer predigte und vertraue auf den neuen Himmel und die neue Erde, wie es der 2 Petrusbrief verheisst. Welch eine Zeit, welch ein Kairos heute. Daran erinnert mich dieses Jahr der Advent ganz besonders.

Wenn Angst nicht weiterhilft

Predigt vom 19. November; Mt 25,14-30

Vor gut zwei Monaten war die Medienkonferenz zur Voruntersuchung der Missbrauchsstudie. Die Medien waren vor und nach dem 12. September beschäftigt, neueste Erkenntnisse und Resultate zu kommunizieren. Es war für mich keine einfache Zeit und ich musste vieles hinnehmen und verdauen. Eine Zeitlang habe ich mich geschützt. Es braucht Zeit, Achtsamkeit und Geduld solche Meldungen zu verdauen. Traurig, schrecklich! Überrascht war ich, dass Vieles aktuell ist und auch die heutigen Bischöfe betrifft. Es geht nicht nur um alte Geschichten des letzten Jahrtausends. Das war mir neu.

Das Schlussdokument konnte ich in den ersten Tagen nicht lesen. Es wäre zu viel gewesen. Nach einigen Tagen habe ich mir dieses jedoch zu Gemüte geführt und ich war erstaunt, dass es mich nicht primär belastete, sondern mir auch Mut machte und Lösungswege aufzeigte. Einiges ist schon gelaufen, weiteres muss noch kommen. Da wartet noch viel! Trotzdem, das Denken an die Opfer macht betroffen und fordert kirchliches Handeln. Unsere Kirche ist leider keine Idealgesellschaft und auch die Kapuziner nicht, das sehe ich deutlich, tut weh.

Dieses Jahr durfte ich mit Karin Iten und Stefan Loppacher zwei Weiterbildungen für Kirchenräte der Landeskirche Schwyz organisieren. Sie zeigten auf, dass vieles in der Kirche im grünen Bereich liegt, einiges im grauen und weniges im roten Bereich; solches das nicht geht und Verbrechen sind. Und trotzdem bleiben wir als Kirche eingeladen eine gute Nachricht zu verkünden. Dazu braucht es Nähe und Distanz. Karin Iten erzählte von einer Predigt während einem Gottesdienst. Da war ein Prediger, der nie zu den Menschen aufgeschaut hat und keinen Kontakt zu den Trauernden aufbauen konnte. Das ist eine nichtgelungene Begegnung! Es braucht unbedingt einen Augenkontakt.

Vorletzte Woche hatten wir hier im Kloster eine Weiterbildung zu «Nähe und Distanz». Auch hier meinte der Referent «Angst und Vermeidung sind nicht die Lösung». Es braucht stets das richtige Mass. «Wann ist nah zu nah?» war eine Frage. Und in einem Haus mit Pflegestation stellt sich diese Frage besonders. 0-45 cm ist die intime Distanz. Diese braucht es bei der Körperpflege, muss aber vom Patienten angenommen werden und von Pflegenden stets angekündigt werden. Ab 45 cm bis 1 Meter 20 cm ist die persönliche Distanz; bis 3 Meter 60 die soziale Distanz und bis 7 Meter 50 die öffentliche Distanz. In Begegnungen braucht es definierte Rollen, Sorgfalt und Transparenz. Das richtige Mass.

Dankbar bin ich für unser heutiges Tages-Evangelium (Mt 25,14-30). Der dritte Diener handelt nicht mit seinen Talenten, Gaben, Fähigkeiten. Er vergräbt diese aus Angst und lässt sie brach liegen. Der Herr des Gleichnisses will jedoch, dass seine Diener mit ihren Talenten handeln. Nicht Angst und Vermeidung sind gefordert, sondern Lebendigkeit, Freude, ja sogar Risiko im Umgang mit eigenen Talenten und Fähigkeiten. Angst hilft hier nicht weiter. Sie führt ins Verderben.

Sören Kierkegaard unterscheidet zwischen Furcht und Angst. Bei Furcht wissen wir, wovor wir Angst haben. Wenn ich vor einem Löwen stehe, dann ist Furcht und die Flucht das gute Verhalten. Angst ist für den Philosophen und Theologen diffus, nicht greifbar und lebensbehindernd. Interessanterweise sprechen wir von Gottesfurcht und nicht von Gottesangst! Obwohl wir als Christen und Christinnen auf einen liebenden Gott bauen. Unsere Gottesfurcht nimmt ernst, dass Gott grösser, anders, unbegreifbar ist. Ein uns verborgenes Geheimnis also.

Der Neurologe und Psychotherapeut Erwin Ringel differenziert anders. Er nennt vier Typen von Angst. Reale, existenzielle, irreale und neurotische Angst. Irreale und neurotische Angst sind krankhaft und behindern das Leben. Die reale Angst deckt das Beispiel mit dem Löwen ab. Reale Angst kann überlebenswichtig sein und nötig. Die existenzielle Angst macht deutlich, dass unser Leben komplexer und vielfältiger ist, als uns lieb ist. Wir fühlen uns überfordert und kommen an unsere Grenzen. Wir bekommen Angst. Existenzielle Angst zeigt uns, wenn wir unser Leben auf Sand gebaut haben. Doch auch sie darf unser Leben nicht behindern. Talente müssen gelebt, gefördert und vermehrt werden.

Jesu Gleichnis zeigt, dass der Herr seinen Dienern eine gewisse Anzahl Talente gibt. Und diese muss der Diener einsetzen und fruchtbar machen. Es wird nichts Übermenschliches oder sogar Unmenschliches gefordert. Sondern mit unseren Gaben sollen wir handeln und die Welt gestalten und lebenswert erhalten. Diese Talente zu vergraben ist keine Lösung und führt nicht ans Ziel.

Dies Ziel unseres Lebens zeigt sich im Satz: «Komm, nimm Teil an der Freude deines Herrn!» Und dazu braucht es Lebendigkeit, Freude an den eigenen Fähigkeiten, aber manchmal auch den Mut zum Risiko. Angst kann weder für ein Individuum noch für eine Kirche die Antwort sein. Wir haben einen Auftrag vom Gott des Lebens und der Liebe. Und dieser fordert uns zum Leben und Lieben heraus. Dazu wünsche ich uns, aber auch der Kirche, viel Mut, lebensfreundliche Strukturen und einen kritischen Umgang mit unserer Vergangenheit, damit gutes Leben möglich wird.

Einladung abgelehnt

Predigt vom 15. Oktober 2023: Jes 25,6-10a; Mt 22,1-14

Welch eine Wucht, mit der Jesaja hier auffährt: «für alle Völker ein Festmahl … der Tod wird beseitigt … An jenem Tag wird man sagen: Seht das ist unser Gott, auf ihn haben wir unsere Hoffnung gesetzt, er wird uns retten»! (Jes 25,6-10a) Solche Worte mag ich sehr und solche Hoffnung wünsche ich mir, Tag für Tag. Es ist dies eine Vision für die Zukunft und ich wünschte, sie würde heute werden. Komm Gott, rette uns!

Und was mir hier zusätzlich auffällt. Gott handelt und nicht ich. Gott ist die Hoffnung, nicht ich oder andere Heilsbringer. Es ist der eine Gott, der für alle Völker einsteht, und so für alle Völker. Nein, nicht ich muss der Welt das Heil bringen. Das darf ich im Glauben getrost Gott überlassen. Er übernimmt die Vollendung der Welt, wie auch jedes einzelnen von uns. Und da meint Jesaja nur noch: «Wir wollen jubeln und uns freuen über seine rettende Tat.»

Auch das Jesus-Gleichnis nimmt das Bild des Mahles auf und führt den Text des Jesaja weiter und situiert diesen geschickt in unserem Alltag, nicht in die Zukunft, wie dies Jesaja tut. Das Mahl ist im Gleichnis bereitet und die Gäste werden eingeladen. Doch welch eine Enttäuschung für den Einladenden!

Die Geladenen «kümmerten sich nicht darum, der eine ging auf seinen Acker, der andere in seinen Laden, wieder andere fielen über seine Diener her, misshandelten sie und brachten sie um.» (Mt 22,5-6) Ja, mein Alltag ist voll und der Aufgaben und Pflichten viele. Manchmal frage ich mich auch, ob es auch die Gewohnheiten sind, die den Tag ausfüllen und mir so den Blick auf das Heilige, auf Gottes schöpferische Wirken verstellen. Es muss doch so und so sein. Das müsste auch noch erledigt werden. Nein, Menschen haben darin oft keinen Platz mehr. Lade ich mich manchmal nicht selbst vom Fest des Lebens aus? Lasse ich Gott und seinen heiligen, belebenden Geist an mir vorbeiziehen?

Mit der Kurzfassung vom Evangelium könnten wir hier hören und hätten meines Erachtens schon vieles für unseren Alltag mitbekommen. Hoffnung auf Gottes Retten, und Aufmerksamkeit für Gottes Wirken im Alltag wären die beiden Punkte, die wir für die kommende Woche mitnehmen könnten: Hoffnung auf Gottes Retten und Aufmerksamkeit für Gottes Wirken.

Die Verse 11 bis 14 bei Matthäus 10 haben mich zuerst geärgert und so wollte ich diese weglassen. Der Vers 10 hat ja schon ein wunderbares Happy-End:

«Die Diener gingen auf die Strasse hinaus und holten alle zusammen, die sie trafen, Böse und Gute, und der Festsaal füllte sich mit Gästen.» Jetzt könnte das Gelage von Jesaja doch beginnen?!

Wieso nun noch eine Negativschlaufe im heutigen Tagesevangelium? «Mein Freund, wie konntest du hier ohne Hochzeitsgewand erscheinen?» Warum muss nun das harmonische Mahl noch gestört werden. Auch für die Zurückbleibenden bleibt doch ein schaler Geschmack zurück. Da gibt es am Ende einen Ausgeschlossen, einen Hinausgeworfenen!

Stichwort für den Rauswurf ist das Hochzeitsgewand. Gäste sollen an die Feier nicht kommen wie im Alltag. Sie sollen wissen und ausdrücken, dass da etwas Spezielles, Heiliges geschieht. Im ersten Teil des Gleichnisses haben wir gesehen, dass die Geladenen nicht ans Mahl gehen, weil die täglichen Aufgaben und Sorgen des Alltages vom gemeinsamen Mahl ablenken. Vielleicht nimmt die zwei Rauswurf-Schlaufe dieses Thema auf und verdeutlicht. Gottes Begegnung reisst aus dem Alltag heraus und führt in eine spezielle, heilige, transzendente Begegnung mit IHM. Da wird und ist alles anders. Da ist eben nicht mehr nur Alltag. Da wird der Alltag überstiegen, transzendiert.

Mir kommen eigene erhebende Gottesbegegnungen, Gipfelergebnisse in den Sinn und auch mystische Erfahrungen. Da muss man sich herausreissen lassen und andere Werte, Gottes überraschende Gegenwart zulassen. Da gilt die Liebe, Harmonie, Versöhnung, Gottes erfahrbare Wirklichkeit. Franz von Assisi hat das in der Begegnung mit Aussätzigen erlebt, andere Heilige im Gebet, in der Meditation oder in der Liturgie. Wenn ich an viele Kapuziner-Heilige denke, dann sind das Erfahrungen an der Pforte, beim Betteln oder auch im Beichtstuhl. Im Tun des Guten wird das Bittere süss, würde Franziskus sagen.

Lassen wir uns von Gott einladen zu seinem Mahl und ziehen wir dazu unsere Hochzeitskleider an. Geniessen wir die göttlichen «Mähler». Und es wird dies nicht nur eine persönliche Erfahrung sein. Jesaja verheisst uns am Ende eine umfassende, erlösende und offenlegende Erfahrung für alle:

«6 Auf diesem Berg aber wird der HERR der Heerscharen allen Völkern ein fettes Mahl zubereiten, ein Mahl mit alten Weinen, mit fettem Mark, mit alten, geläuterten Weinen. 7 Und verschlingen wird er auf diesem Berg die Hülle, die Hülle über allen Völkern, und die Decke, die über alle Nationen gedeckt ist.»

Und Jesus zeigt uns, dass das Reich Gottes schon in unserem konkreten Leben Einzug halten will. Ziehen wir also unsere Hochzeitskleider an. Lasst uns einladen und Zeit haben für Menschen, Gott und sein Wirken. Und da darf dann auch gefeiert werden. Immer wieder und am Ende der Tage. Amen!