Eine befreiende und eine lebensbejahende Theologie

Obersee Nachrichten, 17. Juni 2021, Michel Wassner, Frontseite:
Insgesamt knapp zwei Jahrzehnte lebte Bruder Adrian im Kapuzinerkloster Rapperswil. Nun zieht er weiter – nach Schwyz. Es gefällt ihm am Zürichsee, ganz klar. Er wird die Region vermissen, bestimmt. Aber für einen Kapuziner-Bruder gehören Ortswechsel einfach dazu. Die Jahre am Obersee waren- für ihn eine Zeit der Erfahrungenund Begegnungen. Immerhin handelt es sich in der Rosenstadt um ein offenes Kloster. Man lebt mit Freiwilligen zusammen. Jetzt jedenfalls blickt er nach vorne und freut sich darauf, wieder mehr Zeit zu habenfür seine Leidenschaft – das Schreiben. Seite7

«Ich bin ein fröhlicher Mensch»

Mit Bruder Adrian verlässt ein «Urgestein» des Kapuziner-Klosters Rapperswil den Obersee in Richtung Schwyz. In seinen knapp zwei Jahrzehnten hat sich viel getan. Von einem, der die Region auch ein wenig vermissen wird.

Insgesamt 18 Jahre verbrachte Bruder Adrian im Kapuziner-Kloster Rapperswil. Nun zieht er weiter. Bei seinem Orden ist das so üblich. Gefallen hat es ihm sehr gut am Obersee. Innerhalb der Klostermauern und ausserhalb. «Ich liebe das Wandern, die Wälder, kenne fast jeden Weg in der Region.» Dass er sehr naturverbunden ist, erzählt der 56-Jährige beim Gespräch vor traumhafter Zürichsee-Kulisse im Klostergarten, rundherum allerlei selbst gezüchtetes Gemüse vom Klostergärtner. Die Wirkungsstätte der Kapuziner in der Rosenstadt ist speziell. Sie führen seit 1992 ein offenes Kloster, leben mit Freiwilligen zusammen, mit Menschen unterschiedlicher Konfessionen und Religionen, die sich einfach ein wenig zurückziehen, am Klosterleben teilhaben und mithelfen möchten. Ein Konzept, das Bruder Adrian zwar nicht initiiert, aber lange Zeit begleitet und mit weiterentwickelt hat. Innerhalb des Ordens, erklärt er, werde alles in Gemeinschaft umgesetzt, Entscheide fallen nach Mehrheiten. «Die Orden sind, wenn man so will, die demokratischen Inseln innerhalb der katholischen Kirche.»

Unter Brüdern

Offenes Kloster, wechselnde Gäste, viel Arbeit. «In Rapperswil müssen wir uns um die Besucher kümmern. Das ist eine schöne Tätigkeit, aber ich möchte jetzt wieder weniger betreuen und mehr schreiben.» Denn, das muss man wissen, sein Herz schlägt auch für den Journalismus. Anfangs sind die Gäste jeweils noch länger geblieben, ab 2001 wurden es mehr Wochengäste. Seit 2008 gibt es ausserdem das Kloster-Cafe. Alles Dinge, die Bruder Adrian mitgetragen hat. Natürlich sei so ein Gästebetrieb anspruchsvoll. «Immerhin kommen jede Woche bis zu acht neue Leute zu uns. Aber insgesamt eine positive Erfahrung.» A propos Erfahrung: Bruder Adrian, sind Sie eigentlich ein glücklicher Mensch? «Ja, das bin ich. Ich geniesse mein Leben und bin ein fröhlicher Mensch.» Das merkt man auch im Gespräch. Soll er sich selbst beschreiben, wählt er die Adjektive neugierig, überlegt, organisiert. Nicht die schlechtesten Eigenschaften für einen Mönch. Wobei Adrian das Wort Bruder bevorzugt. Er sagt: «Genau genommen sind wir kein Mönchs- sondern ein Brüder-Orden.»

Menschen begleiten

Der Begriff deutet es bereits an: Entscheidet man sich, Kapuziner zu werden, fällt die Wahl auf ein Leben in Gemeinschaft. Genau das richtige für Bruder Adrian. Zweifel hatte er keine. Wobei er betont: «Man darf nicht vergessen: Die Eintrittsphase in den Kapuziner-Orden dauert neun Jahre. Da hat man genug Zeit, sich das gut zu überlegen.» Er war damals 26 und hatte bereits einige Schicksalsschläge hinter sich, den Verlust geliebter Menschen erlebt. Sein Glaube aber ging ihm nicht verloren. Es gebe Positives und Negatives im Umgang mit dem Tod, sagt er. «Vor 30 Jahren habe ich im Kloster Schwyz auf einer Pflegestation gearbeitet für alte Brüder. Einen von ihnen pflegte ich bis zuletzt. Es war eine bereichernde Zeit.» Er spricht von Erfahrungen, die dem eigenen Leben mehr Tiefe geben und das Gott-Ver-trauen stärken. Auch an seinem zukünftigen Wirkungsort Schwyz wird er deshalb wieder Menschen auf den letzten Metern begleiten.

Ein kritischer Geist

Was Bruder Adrian selbst auch weiterhin begleiten wird, sind Nussstängeli. Die liebt er. «Das Wichtigste ist, dass sie knackig sind», sagt er mit einem Lachen. Ebenso angetan haben es ihm das Fotografieren und das Schreiben. Gute Voraussetzungen für einen Redaktor, der unter anderem für die Kapuziner-Zeitschrift «ITE» Texte verfasst und für seinen eigenen Blog. Ebenso von Vorteil: ein offener Geist. Ja, er würde sich schon auf der Reform-orientierten Seite innerhalb der Katholischen Kirche sehen. «Ich bin für Demokratie, vertrete eine offene Theologie. Das passt auch zum Orden. Die Schweizer Kapuziner gelten als vergleichsweise progressiv.» Daher gibt es Dinge, die er durchaus kritisch sieht und auch benennt. «Klar ist, dass wir einen Entscheidungsstau in der Katholischen Kirche erleben. Andererseits muss man auch anerkennen, dass sich innerhalb der letzten 30 Jahre einiges getan hat.» Doch grosse Herausforderungen, die gebe es nach wie vor. Bruder Adrian spricht ruhig, überlegt, positiv. Vor allem wenn es um seine Theologie geht. Es sei dies eine befreiende, eine lebensbejahende, getragen von Liebe und Barmherzigkeit. Zu Heilsversprechen im Jenseits sagt er – und das nicht ohne Schmunzeln: «Ich verwende gerne das Bild eines Schmetterlings. Wir sind wie die Raupen. Über dieses Stadium kann ich dementsprechend viel erzählen.» Und danach? «Das weiss ich natürlich auch nicht. Ich kenne nur den Beginn der Verpuppungsphase. Auf unser Schmetterlingsdasein bin ich ja gespannt!» Überraschend offen, erfri-schend.

Als Kapuziner zieht man weiter

Erfrischend und einfach ist auch das Bild, das er verwendet, um die Wahl seines Ordens zu erklären. «Ich wurde Kapuziner, weil ich da hin-gehöre. Wie ein Fisch ins Wasser.» Sagt’s und deutet auf den Zürichsee. Doch die Kapuziner sind eben ein Weltorden. Deshalb gehören Ortswechsel für die Brüder einfach dazu. «Und auch ich wollte diese Veränderung.» Nächster Halt: das Kloster Schwyz. Ein Unbekannter ist Bruder Adrian dort nicht. «Ich bin vielen Brüdern bereits begegnet. Ich freue mich sehr darauf, sie wiederzusehen.» Im Kantons-Hauptort erwarten den 56-Jährigen auch neue Aufgaben. Und besonders wichtig: «Ich werde wieder mehr Zeit für meine Tätigkeit als Redaktor haben.» Natürlich freut er sich zudem auf die zahlreichen Wanderwege im Inneren der Schweiz. Aber Hand aufs Herz: Werden Sie Rapperswil dennoch vermissen? Der Bruder wählt die Worte sorgfältig. «Ich kann mir durchaus vorstellen, dass ein wenig Wehmut aufkommen wird, wenn ich die Region verlasse. Aber die Zeit ist einfach reif.» Mit Blick auf den strahlenden Zürichsee merkt man es schon: Bruder Adrian weiss, was er zurücklässt. Doch er freut sich auf Neues.

Michel Wassner

Ps: Ab dem 9. September gilt:

Br. Adrian Müller
Kapuzinerkloster
Herrengasse 33
Postfach 353
6431 Schwyz

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