Jesuitenkirche Luzern by night

Gerechtigkeit und Barmherzigkeit küssen sich

Am 9. Dezember fand in der Jesuitenkirche eine MittWortsMusik statt. Ein Chor aus Studierenden sang wunderbar My Soul doth magnify the Lord von George Dyson; Ave Maria von Anton Bruckner; Salve Regina von Francis Poulenc; Ave Maria Stella von Trond Kverno; Magnificat von Wienfried Bönig. Ich habe dazu zwei Text-Einheiten verfasst.

Text 1

Liebe Mitfeiernde

In diesen Tagen hat Papst Franziskus ein Jahr der Barmherzigkeit ausgerufen. Eröffnet wurde dieses zuerst in Zentralafrika und erst gestern, am 8. Dezember, einem Marienfest, in Rom selber. Neu ist an diesem Heiligen Jahr, dass es nicht nur ein Fest der grossen Basiliken ist, sondern dass auch in allen Diözesen Heilige Pforten eingerichtet werden sollen. Es ist also bewusst ein Heiliges Jahr der Barmherzigkeit für die Weltkirche und nicht nur für die römische Kirche. Gleichzeitig gedachte gestern die römisch-katholische Kirche den Abschluss des Zweiten Vatikanischen Konzils, der vor 50 Jahren stattfand. Papst Franziskus gibt uns also die Barmherzigkeit als Leseschlüssel für dieses kirchenprägende Konzil.

Die Musiker und Musikerinnen dieser MittWortsMusik haben sich vom gestrigen Marienfest inspirieren lassen. Gerahmt wird diese Feier mit dem biblischen Magnifikat. Während der Feier hören wir Stücke aus der marianischen Frömmigkeit. Damit öffnen sich zwei sehr unterschiedliche Räume des Glaubens. Im Magnifikat geht es um Gerechtigkeit. Die marianische Frömmigkeit hingegen, drückt sehr emotional Sehnsucht nach unserer Glaubensschwester und Mutter Gottes Maria aus. Von ihr erwarten die Betenden Nähe und Beistand. Sie erbitten von Gott dessen Barmherzigkeit.

Als junger Kapuziner war mir das Magnifikat, wie es in jedem Abendlob gebetet wird, sehr lieb. Da räumt mal jemand auf und macht Ordnung. Wir finden das Magnifikat im Lukas-Evangelium (1,46-55). Unter anderem ist da zu lesen:

Er zerstreut, die im Herzen voll Hochmut sind; (51)
er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen. (52)
Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben und lässt die Reichen leer ausgehen. (53)

Arme reiche Schweiz. Wird sie leer ausgehen. Nicht nur, aber auch nach den Erfahrungen von Paris, sind diese Worte besonders fragwürdig geworden. Denn sagen nicht religiöse Fanatiker:

Lassen wir die hochmütige westliche Kultur in die Luft.
Das reiche Europa sowie die mächtige USA sollen zerstört werden und die unterdrückten Menschen im Süden leben können.
Die Hungernden dieser Welt sollen zu ihrem Recht gelangen. Die reichen und fetten Europäer gehen leer aus. ???

Gott hat uns Christen in Jesus sein Wirken anders offenbart. Er hat nicht zugeschlagen. Interessanterweise sprechen auch muslimische Theologen gerne vom Barmherzigen, wenn sie von Gott reden. Die Barmherzigkeit wird uns Christen wie auch Muslime im kommenden Jahr besonders verbinden.

 

Text 2

Liebe Mitfeiernde

Für mich als Schweizer bringt das Magnifikat keine Freudenbotschaft. Im Vergleich mit vielen Menschen dieser Erde lebe ich in Saus und Braus. Ich weiss, schwarz-weiss Botschaften bringen uns nicht weiter. Darum einige Hinweise zu unserer Situation.

Es stimmt einerseits, dass wir mit unserem politischen System und unserer Mentalität Frieden und für viele Wohlstand erarbeitet haben. Aber dieser muss stets neu verdient und verteilt werden. Die Caritas warnt und sagt, dass die Anzahl der armen Schweizerinnen sehr stark zunehme. Schon in der Schweiz ist die Gerechtigkeit in Gefahr. Auch bei uns kommen einige Menschen unter die Räder.

Andererseits tragen wir Schweizer auch zur Ungerechtigkeit in der Welt bei. Unsere Firmen müssen sich zwar in der Schweiz an ökologische wie auch soziale Standards halten, Geschäften aber im Ausland oft wie Geier. Darum starteten das Fastenopfer und andere Organisationen eine Konzernverantwortungsinitiative. Schweizer Firmen sollen auch im Ausland verantwortungsvoll und gerecht handeln. Was nützt es uns, wenn unser Wohlstand auf Blut baut?

Und wie steht es mit meinem ökologischen Fussabdruck? Wenn alle Menschen der Erde leben würden wie ich, dann läge die Erde wohl schon lange flach. Barmherzigkeit, das ist wohl wirklich etwas, das ich, das wir Schweizer besonders bedürfen.

Ich selber und viele andere sind aufgebrochen und brechen stets wieder neu auf, um sich für Gerechtigkeit und Frieden bei uns wie auch in der Welt einzusetzen. Wenn ich im Kloster für die Gestaltung des Gebetes Verantwortung trage, dann lasse ich das Magnifikat im Abendlob gerne wie folgt beten:

Mächtige Menschen teilen ihre Macht,*
unbeachtete Menschen finden Aufmerksamkeit.
Die nichts vorweisen können, werden mit Güte beschenkt,*
die aber alles schon haben, verteilen ihren Reichtum.
Wer sich auf Gott verlässt, wird aufgerichtet.*
Seine Barmherzigkeit gilt stets von neuem.

Ich weiss, ich selber habe mich zu ändern, aber viele ungerechte Strukturen müssen wir gemeinsam ändern – und das geht leider nicht schnell und einfach, es braucht Geduld und Kraft. In dieser Situation ist es gut zu wissen, dass Maria uns eine himmlische Schwester ist und uns unterstützt auf dem Weg ins Reich Gottes, das ja schlussendlich ein Geschenk Gottes ist. Und da singe oder höre ich gerne ein Ave Maria oder ein Salve Maria, ohne zu vergessen, dass es neben der Maria der Frömmigkeit und der emotionalen Beziehung auch eine biblische und sehr politische Maria zu berücksichtigen gibt.

Vielleicht darf man ja sagen, in Gott küssen sich Gerechtigkeit und Barmherzigkeit; dies jedoch anders als wir Menschen uns das vorstellen.

 

Adrian Müller

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