Erstaunt und verblüfft

Predigt zu Ezechiel 37,1-14; Johannes 11,1-45

Jesus erstaunt und verblüfft: «6 Als Jesus nun hörte, dass Lazarus krank sei, blieb er noch zwei Tage an dem Ort, wo er war», so hörten wir eben im Johannes-Evangelium. Hat er denn nicht mehr Mitgefühl mit dem kranken Lazarus und seinen beiden Schwestern, Maria und Marta? Müsste er nun sein Predigen und Wirken nicht liegenlassen und zu Lazarus aufbrechen und heilen?

Doch auch Gott erstaunt und verblüfft: «und mitten in der Ebene liess er mich nieder, und diese war voller Gebeine», erzählt uns Ezechiel. Das Bild von der über die Ebene zerstreuten menschlichen Gebeinen erinnert an ein ehemaliges Schlachtfeld. Auch wir werden heute an aktuelle Schlachtfelder erinnert. Und wie wünschen wir uns, dass Gott eingreifen, Gerechtigkeit schaffen und Frieden stiften würde. Doch war das auch vor gut 2500 Jahren nicht so. Gott tat nichts. Die Menschen, Gottes erwähltes Volk ist auf offenem Feld gestorben und nicht einmal begraben worden. Die Knochen liegen immer noch auf der Erde herum. Ein erschreckendes Bild von Auflösung, Zerfall und Tod. Und Gott?

Doch jetzt viele Jahre später ergreift Gott im Buch Ezechiel die Initiative und lässt den Propheten handeln. Gott spricht: «Seht, ich lasse Geist in euch kommen, und ihr werdet leben. 6 Und ich gebe euch Sehnen und lasse Fleisch wachsen an euch, und ich überziehe euch mit Haut und lege Geist in euch, und ihr werdet leben, und ihr werdet erkennen, dass ich der HERR bin.» Viele Jahre nach dem Tod auf dem Schlachtfeld gibt Gott Sehnen, Fleisch, Haut und Geist zurück. Die Toten leben wieder. Gott scheint Zeit zu haben. Ohne Stress!

Fazit: Schon im Buch Ezechiel wird die Zerstörung, der Tod nicht verhindert, sondern von Gott in Kauf genommen. So prahlt der assyrische König Sanherib um 700 vor Christus laut einem Schlachtbericht, er habe die Ebene mit den Leichen (feindlicher) Krieger gefüllt wie Gras. Da greift Gott / Gottes Gerechtigkeit nicht ein, viele Jahre später schenkt Gott das Leben wieder. Diese Vision konnte sogar historisch infolge der toleranten Religionspolitik des persischen Königs Kyros dem II., im sechsten Jahrhundert vor Christus historische Wirklichkeit werden. Da haben plötzlich Menschen mitgewirkt.

Wie ist Ezechiel zu verstehen? Wie zu deuten? Gott verhindert Unglück, Unrecht, Tod nicht, aber er erweckt später zum Leben, einem Leben in Gerechtigkeit und Fülle. Gott handelt anders, als wir Menschen wünschen, aber er handelt und schenkt den elend Gestorbenen Leben.

Auch Jesus springt im heutigen Tages-Evangelium nicht nach Betanien. Er lässt Lazarus sterben, so dass der Leichnam dann «stinkt», wie die Bibel erzählt. Lazarus war tot, am Verwesen. Und für uns verständlich sagt Marta zu Jesus: «Herr, wärst du hier gewesen, so wäre mein Bruder nicht gestorben.» Ja, solches am Leben erhalten hätte ich von Gott, respektive Jesus auch erhofft. Da geht es mir ähnlich wie Marta. Jesus handelt anders. ER lässt seinen Freund sterben.

Wieso?

In den beiden besprochenen Texten finde ich drei Antworten fürs Warten lassen: 1) Gottes-Erkenntnis, 2) Verherrlichung Gottes und 3) Glauben.

  1. Gottes-Erkenntnis: «Und ihr werdet erkennen, dass ich der HERR bin, wenn ich eure Gräber öffne und euch, mein Volk, aus euren Gräbern steigen lasse. 14 Und ich werde meinen Geist in euch legen, und ihr werdet leben, und ich werde euch auf euren Boden bringen, und ihr werdet erkennen, dass ich der HERR bin», lesen wir im Buch Ezechiel.
  2. Verherrlichung Gottes: Erst im Angesicht des Todes, des Verfalls, des Schweren kann der leben-spendende Geist Gottes, seine Lebens-Kraft zeigen und verwirklichen. Erst in Konkurrenz zum Bösen, Schlechten kann das Gute gesehen werden, Gottes Wirken sich manifestieren. «Diese Krankheit führt nicht zum Tod, sondern dient der Verherrlichung Gottes; durch sie soll der Sohn Gottes verherrlicht werden», lässt das Johannes-Evangelium Jesus sagen.
  3. Glauben: «Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt, und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird in Ewigkeit nicht sterben.» Oder «Habe ich dir nicht gesagt: Wenn du glaubst, wirst du die Herrlichkeit Gottes sehen?» Oder «Ich habe es gesagt, damit sie glauben, dass du mich gesandt hast.»

Liebe Glaubende, was nehme ich mit von diesen beiden Texten? Ich nehme wahr, auf unserer Welt gibt es neben Leben und sonnigen Seiten, auch Krankheit, Krieg, Konflikte, Zerstörung und Tod. Die beiden Bibelstellen zeigen mir einen Gott, der solche Schattenseiten nicht verhindert, später aber wieder mit Leben füllt. Gott, beziehungsweise sein Handeln, seine Motive bleiben mir verborgen – die drei biblischen Begründungen überzeugen mich wenig. Marta’s Vorwurf verstehe ich gut. Viele Fragen bleiben offen. Aber Hoffnung lebt. Gott erstaunt und verblüfft, er ist anders, Gott, nicht Mensch.

Werde töricht, um weise zu sein

Predigt Fasnacht 2023; 1 Kor 3,16-23, Mt 5,38-48

In der heutigen Lesung von Paulus hörten wir: «Denn die Weisheit dieser Welt ist Torheit vor Gott.» (1 Kor 3,19). Meine Weisheit, meine Adrian-Weisheit ist Torheit vor Gott. Das ist nicht gerade eine Erkenntnis, die mir schmeichelt. Und ich lese viele Bücher und Zeitungen. Ob papiernen oder digital ist mir egal. Ich höre und sehe Podcasts. Ich möchte das Leben, die Welt verstehen, gut und richtig handeln, aufrichtig beten können «Dein Wille geschehe, dein Reich komme». Und in den Ohren höre ich Paulus sagen: werde töricht, um weise zu werden (1 Kor 3,18). Eine Ermutigung ist mir Paulus nicht gerade. Doch auch Jesus von Nazareth, wie wir ihn im Tagesevangelium hörten, bringt mit seiner Bergpredigt schwere Kost: «Leistet dem, der euch Böses antut, keinen Widerstand, …» Mt 5,39.

Es ist mir übrigens klar, dass Gottes Weisheit ganz anders beschaffen sein muss als meine menschliche Weisheit, respektive Torheit. Und wie hat Paulus gesagt? «Meint einer unter euch, weise zu sein in dieser Weltzeit, so werde er töricht, um weise zu werden.» 1 Kor 3,18 Das tönt in meinen Ohren nach Fasnacht: werde töricht, um weise zu sein

Ist Widerspruch, Einspruch, Offenheit für die Zukunft vielleicht Gottes Programm? Sigfried Kleymann sagt: «Karneval ist ein Fest der Distanz zum Alltag. Vieles ist schräg und anders als gewohnt. In die verrückte Perspektive der Karnevalstage passt das Evangelium vom heutigen Sonntag. Ein Gott, der die Konventionen von Freund und Feind, Gut und Böse durchbricht und überraschend anders handelt.» Ja, auch die Fasnacht bricht mit Konventionen des Alltags, wie die heutigen Bibeltexte auch!

Vielleicht helfen mir, uns auch Paulus und Jesus etwas Distanz von unserem Alltag zu gewinnen – wie es die verspielte und farbige Fasnacht tun kann. Und vielleicht hilft mir, uns diese Distanz zur Gegenwart besser in die Zukunft zu gehen, das Jetzt, die Gegenwart nicht absolut zu verstehen, sondern als Entwicklung in der Heils-Geschichte. Geschichtstheologisch gibt es Entwicklungsschritte und Gottes Weisheit formuliert uns vielleicht unser Ziel, eben die Verwirklichung des Reich Gottes. Etwas kurz zusammengefasst könnte man eine Konfliktlösungs-Geschichte der Menschheit folgendermassen erzählen:

  1. Bei Konflikt einfach mal dreinschlagen und sich seine Gerechtigkeit holen, sowie auch noch die Wut loslassen, rächen. Dies wäre ein Mensch ohne Kultur, noch völlig abhängig und gesteuert von seinen Trieben.
  2. Auge um Auge, Zahn um Zahn. So könnte eine weitere Gewaltspirale verhindert werden. Es ist dies schon ein erster kultureller Schritt in die richtige Richtung. Gewalt nicht explodieren lassen. Einer Spirale der Gewalt absagen. Für Jesus ist diese Phase schon überwunden.
  3. Schauen, dass der Gewalttäter gebremst wird und nicht mehr zerstörerisch und verletzend handeln kann. Vielleicht ginge es da schon um erste Strukturen, die Gerechtigkeit schaffen und Gewalt verhindern. Da werden Dritte ins Boot geholt. Es soll nicht mehr vergolten und bestraft werden. Nicht mehr Auge um Auge, sondern Gewalttat an der Wurzel fassen.
  4. Da geht es wohl um Recht und Gerechtigkeit, Organe, die diese einfordern und stützen, weiterentwickeln können. Das heisst aber auch Ungerechtigkeiten abbauen, die Würde, Menschen- wie auch Sozialrechte fördern und umsetzen. Menschliche Kultur muss sich weiterbewegen. Aufbau einer tragfähigen, kreativen Zivilgesellschaft. Wohlergehen für alle. Da sind wir vermutlich drin.
  5. Aufbauend auf 4 vielleicht die Einsicht, wie sie von den Weltreligionen mehr und mehr formuliert werden: Alle Menschen sind Geschwister und haben einen gemeinsamen Gott – wie auch immer genannt und erfahren. Da geht es auch um gegenseitige Verantwortung, beispielsweise der Reichen für die Armen, die Starken für die Schwachen; auch international gedacht. Es geht auch um internationale Solidarität. Konfliktabbau und Friedensarbeit; lebendige Zivilgesellschaft.
  6. …..
  7. Vision/Reich Gottes/Hoffnung/… Und vielleicht über mehrere weitere Stufen kommen wir zum Reich Gottes. Da sind die Forderungen der Bergpredigt, die verrückte Perspektive der Weisheit Gottes Alltag, Gegenwart. Alle sind grosszügig und freigebig, liebend und barmherzig, wissen um die Nöte der Nächsten und können diese auffangen. Dem Bösen muss keinen Widerstand mehr geleistet werden. Böses kann integriert und verhindert werden. Alles nur ein Traum?

Doch ist das noch nicht mein, unser Alltag. Wir erleben ganz konkret Ungerechtigkeit, die angegangen werden muss. Hungernden Menschen zu sagen, sie sollen ihre zweite Wange hinhalten, geht nicht. Missbrauchten Kindern zu sagen, halte hin, geht nicht. Unterdrückten Menschen zu sagen … usw. Den Menschen in Myanmar, in Syrien oder in der Ukraine zu sagen … Übrigens hat auch Jesus vieles kritisiert und zurückgewiesen. Dämonen hat er nicht gewaltlos ausgetrieben, sondern mit Gottes Kraft. Jesus hat geheilt, versöhnt und vergeben.

Aber eben, wie die Fasnacht hat auch Jesus ab und zu vom Alltag Abschied genommen, um auf das Leben, die Freude, die Liebe Gottes, das Reich Gottes hinzuweisen. Seine Botschaft ist und war ja das Reich Gottes, dessen Dasein und Kommen, jetzt und noch nicht.

Liebe Christen, liebe Christinnen

Ich weiss, die Texte von Paulus und von Jesus habe ich jetzt nicht geklärt und auch nicht mit unserem gelebten Alltag harmonisiert. Ich glaube, dass wir ihren Stachel, ihre Aufforderung und Ermutigung spüren sollten, solange das Reich Gottes noch nicht unser Alltag ist. Die Texte sind mir Vision, ein Versprechen für die Zukunft. Gleichzeitig verstehe ich mich, uns in einer von Gott gewollten Entwicklung in die richtige Richtung. Da sind wir eingeladen stets neu aufzubrechen und mitzuarbeiten, am Reich Gottes. Im Kleinen wie im Grossen, an diesem gigantischen göttlichen Projekt mitzumachen. Dazu wünsche ich uns viel Freude, gute Ideen und immer wieder den Stachel von Gottes Weisheit, die oft von menschlicher Torheit erzählt.

Zehn Jahre Bischof

ITE 2023.1; Edito zu: Franziskus – zehn Jahre Bischof von Rom

Ja, es sind schon bald zehn Jahre her, als ein frischgewählter Papst den Apostolischen Palast links liegen liess und sich stattdessen im Gästehaus Santa Marta einquartierte. Er trägt ein Brustkreuz aus Eisen und nicht aus Edelmetall. Und nicht zuletzt: Als erster Bischof von Rom trägt er den Namen des heiligen Franz von Assisi: Papst Franziskus.

Vieles hat man vom neuen Bischof von Rom erhofft und erwartet. Einen anderen Stil kann man gewiss feststellen. Mit einem geschenkten und gebrauchten Renault 4 kurvt er zwischen kugelsicheren Limousinen der Grossen in der Welt herum. Doch hat er auf grosse und schwierige Fragen unserer Zeit Antworten gefunden? Sicherlich: Zum Thema Kirche und Pädophilie hat Franziskus starke Worte geäussert. Und trotzdem hat die katholische Kirche diese (System-)Krise noch nicht überwunden.

Papst Franziskus ist Lateinamerikaner mit italienischen Wurzeln. In seiner Amtszeit ist er allerdings noch nicht nach Argentinien, seinem Geburtsland, gereist. Diese a-Ausgabe stellt Fragen und gibt einige Antworten. a1/2023 ist eine echte Kapuzinernummer. Die Brüder Paul Hinder, Mauro Jöri, Niklaus Kuster, Adrian Holderegger sowie ich, Adrian Müller, haben ihren franziskanisch-kapuzinischen Blick auf den Jesuiten-Papst Franziskus geworfen. Dankbar sind wir Thomas Wallimann und Odilo Noti für ihre weite und soziale Blickrichtung.

Gespannt sind wir auch auf den synodalen Prozess in Deutschland und seine Auswirkungen auf die römisch-katholische Kirche. Doch da sind wir im Moment noch am Kaffeesatz-Lesen. Diese a-Nummer zeigt aus unterschiedlichen Perspektiven, was in den letzten zehn Jahren unter Papst Franziskus aufgebrochen und realisiert worden ist. Papst Franziskus wünschen wir weitere gute Jahre, und dass er noch einiges, was er angerissen hat, zu einem guten Ende führen kann.

Good News aus Afrika

Predigt Neujahr 2023; Gal 4,4-7; Lk 2,16-21

«Die Zeit ist erfüllt», haben wir in der Lesung gehört. Auch heute noch? Paulus schreibt: «Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, …, damit wir die Kindschaft empfingen.» Gal 4,4. Dabei waren es auch vor 2000 Jahre keine rosigen Zeiten. Die Römer waren teilweise brutale Zwingherren der Israeliten und vieler anderer Völker, Zöllner nahmen einem das Geld ab und die ersten Christusgläubigen hatten Konflikte mit den Juden. Ist das eine erfüllte Zeit? Nun ich hätte andere Vorstellungen von «erfüllter Zeit».

Der Galaterbrief wurde um 55 nach Christus geschrieben. Die Christen waren damals noch eine innerjüdische Splitter-Gruppe, Sekte, wurden aber langsam aus dem offiziellen Judentum herausgedrängt und es bildete sich eine eigene Religion, das Christentum. Es ist dies der Übergang von den Judenchristen zu den Heidenchristen. Für die meisten Menschen war die Zeit damals geprägt von Not und Leid, von Sorgen und Ängsten. «Fülle der Zeit» meint also eher voll von Not als die gute, perfekte Zeit. In Mundart könnte man sagen: «Da isch jeze gnue Höi dunge, jetzt muess öpis gaa!» Das Mass ist erreicht, ist voll. Was tut der Schöpfer und Lenker der Welt?

Auch heute ist es unruhig wie vor 2000 Jahren; nach Corona-Pandemie, mit mehreren internationalen Konflikten, die uns bedrohen, Schreckensmeldungen von möglichen Energiemangellagen und anderem, selbst in der Schweiz. Es muss was gehen. Wo bleibt da Gott, und sein Wirken, seine schöpferische Liebe?

Gott hat vor 2000 Jahren schon anders gehandelt, als erwartet. Und vielleicht tut er das heute noch, aber eben anders, unerwartet, kreativ und auch in unseren Herzen. Das heutige Tagesevangelium erzählt von Maria und Josef sowie dem Kind in der Krippe. Den Hirten wurde verheissen, dass da der Frieden für die Menschen in der Krippe liegt. Gott sandte seinen Sohn sagt Paulus, der Apostel betont das Menschwerden des Gottes-Sohnes.

Dieser Sohn Gottes wird später seine Jünger das «Vater unser» lernen. Gott ist uns Abba. Franz von Assisi bezieht Gottes Vater-Sein auf alle Menschen, und sogar auf alle Geschöpfe. Papst Franziskus hat diesen Gedanken in den letzten Jahren aufgenommen und vor allem im Austausch mit muslimischen Menschen festgehalten, dass wir Menschen alle Geschwister sind. Denn Gott ist allen Menschen Vater und Mutter – und in Jesus von Nazareth sogar auch Bruder geworden.

Schon in der Fülle der Zeiten vor 2000 Jahren hat Gott nicht mit Gewalt, Macht und Waffen, oder durch erfolgreiche Menschen und Kriegsherren ins Geschehen der Welt eingegriffen. Nein, Gott wirkt im Alltag von zwei Heimatlosen Menschen, Maria und Josef, und im Alltag von einfachen und armen Hirten, draussen auf dem Feld. Nicht an Machtzentralen, politischer oder religiöser Natur. Und hoch theologisch folgert Paulus daraus: «Weil ihr nun Kinder seid, hat Gott den Geist seines Sohnes gesandt in unsre Herzen, der da ruft: Abba, lieber Vater! So bist du nun nicht mehr Knecht, sondern Kind; wenn aber Kind, dann auch Erbe durch Gott.» (Gal 4,6-7)

Vielleicht ist es gut, heute, am ersten Januar ganz besonders, wie auch im ganzen 2023 immer wieder in unser Herz zu horchen. Vielleicht hören wir da «Abba, lieber Vater, liebe Mutter» und nehmen dankbar wahr, wie Gott in uns und um uns wirkt. Und vielleicht dürfen wir den Blick vom allzu Negativen lösen und mit offenen Augen auch das Gute sehen, das Gottes Geist in unserem Leben wie auch in der Welt wirkt. Es gibt viele Menschen, die mir Mut machen! Und dazu braucht es nicht primär den Blick auf die Mächtigen und Grossen, sondern eben aufs entstehende Leben, auf das Kleine, auf das Werden, zärtlich und sanft. Im Beginn liegt eine Kraft. Aber auch in der Treue zum Leben.

Es ist gut, wenn die Medien uns immer wieder den kritischen Blick auf Ungerechtigkeit und Not ermöglichen. Quasi den Blick auf die Fülle der Zeit, die Probleme und offenen Fragen unserer Tage. Doch dürfen wir auch im 2023 nicht den Blick des Herzens verlieren. «Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen.» (Lk 2,19) Den Blick aufs entstehende Leben, auf Gottes Reich, das wächst, auf alles Gute, dass das Leben uns bereithält.

Davon durfte ich schon im 2022 einiges staunend empfangen, wenn ich mit dem Herzen dankbar aufs letzte Jahr sehe. Und da gibt es Wunderbares auch im Grossen, Politischen und Religiösen. Deshalb wünsche ich uns auch im 2023 den offenen und staunenden Blick auf all das Gute und Schöne, das Gott uns und unseren Geschwistern immer wieder neu schenkt.

In einem Podcast mit dem Namen BeziehungsKosmos wurde geraten, alleine oder in der Familie, abends zusammenzusitzen und sich zehn schöne Momente des Tages in Erinnerung zu rufen. Das hilft in der Fülle der Zeiten aufs Herz zu hören und dankbar durchs Jahr zu gehen. Daraus kann eine Schule des Staunens und des Dankens entstehen. Und da gibt es nicht nur im Kleinen, sondern auch im Grossen immer wieder für Versöhnung, Verbesserung und Frieden zu danken.

Und so staunte ich gestern Silvester, dass unterschiedliche News Apps auch einen positiven Rückblick anbieteten. Am meisten Freude hatte ich an Good News aus Afrika der FAZ zum Thema

Gesundheit in Afrika

Die Menschen in Afrika bleiben viel länger gesund als früher. Die Zahl der bei der Geburt zu erwartenden gesunden Lebensjahre liegt nun bei 56 Jahren, verglichen mit 46 Jahren um die Jahrtausendwende, ermittelte die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Wesentlicher Grund dafür sei der verbesserte Zugang zu medizinischer Grundversorgung.

Ein gutes 2023 Ihnen sowie offene Augen und aufmerksame Ohren für all die Good News im Neuen Jahr. Amen.

„Die“ Zeitenwende war anders

Predigt vom 25. Dezember 2022; Lk 2,15-20

Der Begriff „Zeitenwende“ ist von der Gesellschaft für deutsche Sprache zum Wort des Jahres 2022 gekürt worden. Der Begriff steht im Zusammenhang mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und wurde unter anderem von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) aufgegriffen und geprägt. Die Wirtschafts- und Energiepolitik habe sich völlig neu ausrichten müssen, erklärte die Gesellschaft für deutsche Sprache. Auch Verhältnisse zu anderen internationalen Partnern wie China seien kritisch beleuchtet worden. Zudem habe bei vielen Menschen eine emotionale Wende stattgefunden. So vermeldete die deutsche Tagesschau am neunten Dezember.

Zeitenwende. Das kommt mir bekannt vor. Doch würde ich vor allem die Geburt von Jesus von Nazareth als eine solche Zeitenwende wahrnehmen. Was ist eine Zeitenwende? Im digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache finde ich drei Hinweise zum Begriff:  

  1. Wende, Umschwung im historischen Geschehen – Beispiel: Vom Fax zum E-Mail
  2.  Zeitpunkt, an dem sich eine Wende, ein Umschwung im historischen Geschehen vollzieht – Einen Epochenwechsel also: Von der Moderne zur Postmoderne
  3.  [veraltend] Beginn der christlichen Zeitrechnung

Nun, mit dem Dritten bin ich nicht einverstanden. Wir zählen die Jahre immer noch ab der Geburt Jesu von Nazareth. Diese Geburt Jesu ist für mich als Christ die Zeitenwende. Gott hat ganz besonders und überraschend in unser Weltgeschehen eingegriffen und für und Christ*innen ist das bis heute prägend, einzig und eine frohe Botschaft. Wir glauben nicht an Macht, an veraltete Herodes-Strukturen, an Krieger und auch nicht an die Geschichte der Sieger. Ganz klein und schutzlos wurde vor gut 2000 Jahren die göttliche Zeitenwende eingeleitet. Staunen müssen Menschen können, wenn sie diese christliche Veränderung erahnen und verstehen wollen. Dem Schutzlosen und Abhängigen Raum geben. Oder wie heisst es doch so schön: Erfolg ist keine Eigenschaft Gottes. Aber Liebe und Leben sind Gott und kommen von Gott.

Gott wird Baby und Engel erzählen den Hirten davon, hörten wir im Evangelium. Draussen auf dem Feld. Draussen im Stall. In der Kälte – und da denke ich an die Ukraine und all die Menschen, die bei uns weniger heizen und so der Kälte und dem Krieg trotzen, aber das Leben wollen.

2022 ist eine Zeitenwende und ich hoffe, dass sie im 2023 eine Wende zum Guten, zum Leben wird. Doch, die Zeitenwende – und gar nicht veraltend – ist für mich das Geschehen in und um die Krippe. Da staune ich jedes Jahr neu und danke Gott für seine Liebe, seine Tiefe, sein Leben, seine Freude und sein Dasein. Und darum wünsche ich dieses Jahr auch Ihnen, liebe Mitmenschen, frohe Weihnachten, Hoffnung und immer wieder ein staunendes Herz für Gottes Wirken in unserer Welt, in unserem Leben.

Weihnachten lebt

Urner Wochenblatt | Samstag, 24. Dezember 2022

Weihnachten ist ein christliches Fest, aber nicht nur. Es lebt von Gegensätzen wie Betriebsamkeit und Stille sowie Dunkel und Licht. Das ist gut so und gehört sich so. Dieses dynamische Hin-und-her Schwingen prägen des Menschen Leben und Menschwerden, auch Gottes Menschwerdung. Frohe Weihnachten!

Es gab ein Jahr, da genoss ich scheinbar bis zum 20. Dezember einen besinnlichen Advent. Ich begab mich in keine Läden, an keine Weihnachtsmärkte und besuchte nur wenige und stille Liturgien. Adventliche Texte begleiteten mich. Trotzdem, es wollte gefühlsmässig nicht Advent sein und schon gar nicht Weihnachten werden. Es fehlte der vorweihnächtliche Trubel, das pulsierende Leben. Darum machte ich an jenem 20. Dezember einen Strategiewechsel.

Frieden feiern – Gerechtigkeit

Grundsatzartikel in ITE 2022/5

Franziskanisches Handeln kennt drei Dimensionen: Einerseits gut hinschauen und dann mit Elan handeln. Nötig dafür sind spirituelle Grundlagen, die dem Handeln Orientierung geben. Dieser Artikel vermittelt auf erzählerische Weise franziskanische Grundlagen fürs konkrete Handeln, das in den nachfolgenden Artikeln im Zentrum steht.

Kalt ist es draussen, es liegt matschiger Schnee auf dem Boden. Ein hellgelb erleuchteter Weg führt gerade zum nahen Hotel – und ein steiler dunkler Weg, mit Kerzen ausgeleuchtet, hinunter in den Ranft. Eine Gruppe Menschen macht sich auf den Weg in die tiefe Schlucht. In der Kapelle unten bei Bruder Klaus wollen sie für den Frieden beten. Jeder Schritt muss bedächtig gesetzt werden, es ist rutschig. Dieser Weg ist gelebte Friedensmeditation: Zu rasch entgleitet manchmal der Fuss, der Friede und wir Menschen haben das Nachsehen.

Auf dem dunklen Weg in die Schlucht hinunter halten die Menschen immer wieder an und gedenken schwieriger Situationen, Menschen, denen das weihnächtliche Licht zu wünschen ist. Unten angekommen, wendet man sich mit der Bitte um Frieden an Gott und feiert Gottes Friedensvisionen, wie sie beispielsweise im Psalm 85 aufleuchten: Es küssen sich Gerechtigkeit und Friede. Vielleicht trägt man konkrete Erfahrungen mit sich? Oft bleiben diese Visionen jedoch ein Wunsch für die Zukunft – und da gibt es noch Einiges zu tun! Auch für Gott. Darum: Komm Heiliger Geist …

Eine Friedensgeschichte

Diese Geschichte möchte ich frei nacherzählen:

Franz von Assisi keucht den Bergweg hoch. Durch die wunderbaren Kastanienwälder erreicht er das kleine Klösterlein Montecasale. Ruhig und beschaulich ist die Landschaft. Ideal für das Leben in Abgeschiedenheit und Gebet. Doch wehe dem Ankömmling. An dem abgelegenen Ort erwarten Brüder Franziskus in grosser Aufregung! «Franz, das kannst du dir nicht vorstellen», zischt ein erster Bruder, «da waren wir am Montag in der nahen Stadt arbeiten und trugen Brot und Früchte in unsere Einsiedelei hinauf. Am Mittwoch, während des Morgengebets, haben uns Räuber die ganze Vorratskammer geplündert und wir starteten den Tag mit Hunger.» «Lieber Franziskus», bittet ein anderer, «ich will weg von hier. In der Stadt unten sagen sich die Bürger, wir seien völlig verfressen. Seit Wochen bestehlen uns die Räuber. Wir müssen stets von neuem zu den Menschen gehen und um Nachschub fragen. Das ist peinlich, das halte ich nicht aus!» Kaum hat der zweite geendet, findet der dritte Bruder: «Weg müssen sie, diese Diebe. Einfach weg. Ich bin hierhergekommen, meinen Frieden zu finden und in Stille bei Gott zu sein. Aber das ist Schnee von gestern.»

Franziskus hatte sich seinen Aufenthalt in der Einsiedelei etwas beschaulicher vorgestellt. Doch wird von ihm eine Antwort erwartet und er will diese auch geben. Seine Mitbrüder, aber auch die Brüder Räuber, tun ihm leid. Nach stillem Beten und Nachdenken ruft Franz seine Mitbrüder zu sich und rät ihnen zu folgendem Vorgehen: «Liebe Brüder, wenn ihr das nächste Mal von der Stadt in die Einsiedelei kommt, dann nehmt die Hälfte der Esswaren für euch. Mit der anderen Hälfte geht ihr in den Wald, breitet in der Lichtung oben die Gaben auf dem Boden sorgfältig aus, zieht euch zurück und ruft den Räubern: Liebe Leute, ein Geschenk für euch›. Ab dem dritten Mal bleibt ihr in der Nähe der Lichtung stehen, ab dem fünften Mal bedient ihr selber die Räuber. Und dann sehen wir weiter. Gebt mir Bescheid.»

Die Brüder schlucken schwer, als Franziskus aufbricht. Aber man kann ja einen Heiligen nicht um Hilfe fragen und dann nicht nach seinen Ratschlägen handeln. Und so tun die Brüder in den kommenden Wochen, wie Franz es ihnen geraten hat. Beim ersten Versuch zittern die Brüder wie Espenlaub, oder waren es vielleicht die Räuber, die innerlich verängstigt zittern? Je öfter man die Räuber trifft, desto mutiger und kecker wird das Auftreten der Brüder. Mit der Zeit kennt man sich und beginnt zu scherzen. Die Brüder realisierten: Die Räuber waren aus der Stadt vertrieben worden, geächtet und fanden im Wald wenig Essen und keine Arbeit. Sie lebten als Vertriebene und hinter jedem von ihnen verbarg sich eine leidvolle Lebensgeschichte.

Die Legende endet damit, dass einige Räuber menschenfreundliche Franziskaner wurden, die anderen anständige Bürger der Stadt. Stadt und Umgebung erlebten wirtschaftlichen Aufschwung und niemand musste mehr Angst haben, in den Wald zu gehen. Selbst kleine Kinder konnten im Wald Pilze sammeln gehen und riefen sie nach den Räubern, kamen Brüder.

Bilder und Deutungen

Brasilianische Mitbrüder deuten diese Franziskuslegende wie folgt: Menschen, die das Nötige fürs Leben haben, müssen nicht gefürchtet werden. Vor allem gerecht integriert müssen sie sein. Wie Jesus oder Franziskus sollen die Christinnen und Christen sich besonders für Aussenseiter einsetzen und so dürfen sie manchmal die Erfahrung von Montecasale machen, dass Räuber gar nicht zu fürchten sind. Im Gegenteil. Gottes Geist wirkt auch in ihnen Grosses.

Ein anderes Bild des Franz von Assisi, das auch Papst Franziskus aufgegriffen hat, ist jenes der Geschwisterlichkeit: Christen und Christinnen, ja alle Menschen, haben einen gemeinsamen Vater, eine gemeinsame Mutter im Himmel. Das macht Menschen unter sich, aber auch mit Tieren und Pflanzen zu Brüdern und Schwestern, zu Geschwistern. Und das verbindet familiär. Stimmt, auch Geschwister gehen nicht immer friedlich miteinander um. Aber die Vorstellung der Geschwisterlichkeit stellt uns auf die gleiche Stufe. Gut, auf Erden fehlt uns manchmal der Vater oder die Mutter, die die Gaben der Gerechtigkeit und des Versöhnens haben. Dann sollen die älteren und vor allem die weiseren Geschwister für Gerechtigkeit und Frieden sorgen.

Ausblick

Heute ist Gerechtigkeits- und Friedensarbeit komplex und anspruchsvoll. Diese ITE-Ausgabe erzählt von unterschiedlichen franziskanisch Engagierten. Der Schweizer Kapuziner Adrian Holderegger arbeitet bei der UNO als «Ambassador for Peace». «Franciscans International» engagiert sich seit mehr als dreissig Jahren als NGO bei den Vereinten Nationen. Unser Westschweizer Mitbruder und Missiologe Bernard Maillard erzählt von seinen Erfahrungen mit ACAT (Action Chrétienne pour l’Abolition de la Torture) in ausländischen Gefängnissen. Ach ja, kennen sie die «Roten Kapuziner» der Westschweiz? Beat Baumgartner weiss mehr …

Chestenenweid über Weggis

Waltdstätterweg, Etappe 7: Vorbei geht die Wanderung an Obstgärten bis Oberwilen und über die Molasse-Stufe mit Leitern, die früher nur hier die Landverbindung nach Weggis ermöglichten. Durch das Naturschutzgebiet Chestenenweid nach Hertenstein.

Marroni in der Zentralschweiz: Seit dem Mittelalter kultivieren die Menschen nördlich der Alpen die Edelkastanie. Die ersten urkundlichen Erwähnungen finden wir in der Zeit der jungen Eidgenossenschaft: 1340 in Schwyz; 1378 in Weggis und Walchwil. Chestene ist Mundart für Marroni.