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Christlicher Glaube findet in unserer Welt statt

Der Sozialethiker Thomas Wallimann-Sasaki hat für das Fastenopfer ein Argumentarium zur Konzernverantwortungsinitiative und damit auch zum Verhältnis von Kirche und Politik erarbeitet. Als Nidwaldner Landrat und Theologe kennt er sich sowohl in Politik als auch Kirche aus. Aus aktuellem Anlass steht die Konzernverantwortungsinitiative im Zentrum des Interviews, geführt von Adrian Müller.

 Lieber Thomas Wallimann, erstaunt war ich heute Morgen, als ich in der Zeitung las, wie viele Schweizer Unternehmen, oft durch eigene Unterfirmen, im Ausland Bestechungsgelder bezahlen. Vor allem Regierungen als auch Staatsbeamte scheinen sich einiges damit zu verdienen. Wieso machen Schweizer Unternehmen in solchen Geschäftspraktiken mit?

Unternehmen wissen häufig recht genau, wie solche Mechanismen ablaufen. Während die einen vielleicht die Tatsache unterschätzen, dass andernorts fremde Kulturen und andere Kontexte den Markt bestimmen, wissen die meisten nicht, wie sie mit solchen Phänomenen umgehen sollen. Der einfachste Ausweg sehen sie dann darin zu sagen, dass es sich um «Sachzwänge» handelt.

Aber wie bringt man solches Tun mit unserer Schweizer Mentalität in Zusammenhang? In der Betriebswirtschaft wurde mir beispielsweise nie gesagt wie man Bestechungsgelder bezahlen soll und in den Ferien widerstreben mir solche Forderungen.

Es ist wie häufig bei ethischen Fragestellungen. Wird ein Verhalten als Sachzwang bezeichnet, hört für viele das Weiterdenken auf. Man kann ja eh nichts machen – denkt und sagt man. Lässt man sich aber auf die Frage ein, dann wird es schnell kompliziert. Dann fehlen häufig die Zeit und das Wissen, den Kontext, fremde Kulturen oder auch andere Geschäftsgewohnheiten kennenzulernen und für den eigenen Geschäftsgang richtig einzuschätzen.

Ist Geschäft nicht einfach Geschäft in einer globalen Wirtschaft?

Das sagt möglicherweise die eine Wirtschaftslehre. Eine andere sieht es differenzierter. Wirtschaften ist eben nicht angewandte Mathematik und auch keine Naturwissenschaft oder reiner Markt, Wettbewerb oder Wachstum. Viel mehr geht es um Abwägungen und darum auch um ethische Entscheidungen. Und so ist es dann auch mit sog. Bestechungsgeldern: Am einen Ort sind es eindeutig Bereicherungen einer kleinen Schicht zum Nachteil vieler, am andern Ort können es «normale» Lohnbestandteile sein. Die grosse Herausforderung für Unternehmen besteht darin, in solchen Fällen den Kontext zu sehen, Alternativen zu suchen und dann Entscheide zu fällen.

Gibt es ähnliche Phänomene in der Wirtschaftswelt?

Ja, wir können die Kinderarbeit nehmen. Grundsätzlich ist Kinderarbeit kein Weg und auch nicht erlaubt. Doch die Kontexte sind sehr unterschiedlich. Für ein Unternehmen kann dies z.B. bedeuten, dass es einerseits darum weiss, dass Kinder in der Produktion mitbeteiligt sind – auch weil dies für die Familien überlebensnotwendig ist. Doch das Unternehmen investiert in Bildung, Gesundheitsförderung oder ähnliches vor Ort, um die Verhältnisse für die Menschen und im Dienste der Menschen vor Ort zu verbessern.

Die Kampagne von Fastenopfer und Brot für alle, sowie anderer Hilfswerke hat nun mit der Konzernverantwortungsinitiative das Thema aufgegriffen. Oft hört man jedoch, die Kirche und ihre Hilfswerke sollen sich um ihre eigenen Aufgaben kümmern. Was hat der Glaube in der Politik verloren?

Grundsätzlich ist christlicher Glaube ein Glaube, der in dieser, unserer Welt stattfindet. Mit der Tatsache von Weihnachten, dem Menschwerden Gottes wissen wir Christen und Christinnen, dass unser Glaube handfest mit unserem Alltag zu tun hat. Mit Blick auf Jesus von Nazareth zeigt sich deutlich, dass vor allem der Umgang mit den Armen für unser Leben von grosser Bedeutung ist.

Wieso lindern nun kirchliche Hilfswerke nicht einfach die Not, sondern mischen sich direkt in die politische Diskussion ein? Ja, sie werden sogar mit einer Initiative politisch aktiv.

Kirchliche Entwicklungshilfe-Organisationen stellen bei ihren Hilfsprojekten fest, dass Armut in der Welt ganz klar auch eine politische Komponente hat. Materielle Armut, Bildungsarmut und so weiter stehen auch im Zusammenhang mit dem Handeln multinationaler Konzerne sowie der Schweiz und ihrem wirtschaftlichen Handeln. Manchmal zeigt sich ganz deutlich, dass multinationale Unternehmen – obwohl viele von ihnen das Gegenteil wollen – lokale Entwicklungen hemmen, ja sogar verunmöglichen. Oft geht es auch um die Zerstörung der Natur und so auch von Lebensgrundlagen in Ländern des Südens.

Internationale Konzerne weisen darauf hin, dass sie Devisen bringen und somit Lebensgrundlagen.

Entwicklungsorganisationen sehen vor Ort, dass es beispielsweise nicht reicht, den Menschen eine Flasche mit sauberem Wasser hinzustellen. Man muss darauf Einfluss nehmen, wie fremde Firmen mit dem Wasser umgehen, wie sie mit der Natur umgehen, und natürlich auch, wie sie mit lokalen Arbeiter und Arbeiterinnen umgehen, damit die Menschen langfristig auch da leben können. Ebenso stellen sich kritische Fragen, wo Gewinne versteuert werden und wie die Geschäfte aufgebaut sind.

Inwiefern schafft nun die Konzernverantwortungsinitiative eine neue rechtliche Situation?

Bisher galt für Unternehmen stets die rechtliche Situation vor Ort. Mit der Konzernverantwortungsinitiative können Schweizer Unternehmungen mit Handel im Ausland, auch in der Schweiz zur Rechenschaft gezogen werden. Gewisse Handlungsweisen werden in Ländern des Südens juristisch nicht verfolgt oder können nicht verfolgt werden, bei uns in der Schweiz wären diese aber ein Straftatbestand. Nun müssen Unternehmen in der Schweiz für ihr Handeln im Süden gerade stehen.

Ist im internationalen Wettbewerb die Konzernverantwortungsinitiative nicht ein grosser Marktnachteil für Schweizer Unternehmungen?

Ich sehe nicht so sehr Nachteile. Es ist nicht schlecht, eine weisse Weste zu haben. Es gibt heute schon Schweizer Firmen, die bei ihrem Wirtschaften Wertvorstellungen haben, die Rücksichtnahme auf Menschen und Umwelt zentral beinhalten, und diese auch weltweit (!) einhalten. Mit der Initiative schafft man da gleichlange Spiesse. Die Initiative soll die schwarzen Schafe dazu bringen auch so zu handeln, wie wir es erwarten.

In der Konzernverantwortungsinitiative geht es um Verantwortung. Was bedeutet für einen Sozialethiker «Verantwortung»?

«Verantwortung» macht Beziehungen sichtbar. Im Begriff selber steht das Wort «Antworten». Man kann also fragen, wer ist Verantwortungsträger oder -trägerin, also wer muss denn Antwort geben? Dann: wem gebe ich Antwort, wer ist meine Instanz. Auch stellt sich stets die Frage, für was trage ich Verantwortung. Denn ich trage diese nicht für alles! Und dann kommt noch der Massstab dazu, an dem die Antwort gemessen wird.

Und damit kommt Ethik also auch zu Bewertungen. Wo liegt diese hier vor?

Ja. Diese hängt eng mit der Instanz zusammen. Diese gibt mir den Bewertungsmassstab vor. Unterschiedliche Instanzen haben darum auch unterschiedliche Wertmassstäbe. Eine ökonomistische Verantwortung misst darum lediglich den Umsatz oder die Anzahl verkaufter Zahnbürsten. Wenn jedoch der Wertmassstab die Menschenrechte sind, dann ändert sich die Bewertung und wird schwieriger. Menschenrechte müssen dazu operalisiert werden, damit Menschen nicht in ihrer Würde verletzt werden.

Schlussendlich braucht Verantwortung auch eine Handlungs- und Gestaltungsfreiheit. Wenn ich unter Zwang handle, dann kann ich auch keine Verantwortung übernehmen.

Interview: Adrian Müller, vgl. ite-dasmagazin.ch


 

 

Thomas Wallimann-Sasaki

Seit 1999 leitet er das Sozialinstitut der KAB in Zürich mit dem Schwerpunkt Wirtschaftsethik und Gesellschaftsgestaltung aus christlicher Perspektive. Er unterrichtet Ethik an der Hochschule Luzern, an der KV Business School in Zürich sowie beim Studiengang Theologie. Er war zwölf Jahre Präsident der katholischen Kirchgemeinde Stansstad und ist seit 2014 Nidwaldner Landrat.

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